Das Leben verändert – zum Positiven
Irgendwann war bei den Geschwistern die Grenze überschritten: Adipositas Grad III, extremes Übergewicht. Die Operation zur Magenverkleinerung hat ihr Leben grundlegend verändert – zum Positiven.
Matthias W. reicht heute Abend eine Vorspeise, dann ist er satt. Ellen schneidet sich ein Stück vom Schnitzel ab, das ihr Mann sich bestellt hat und isst noch ein paar Bratkartoffeln dazu, dann ist auch ihr Hunger gestillt. Die Geschwister haben in den letzten Monaten "sehr viele Pfunde verloren", nachdem ihr Magen mit einer Operation verkleinert worden war. Ellen ist inzwischen 55 Kilogramm leichter, ihr Bruder bringt gut 30 Kilogramm weniger auf die Waage. "Ich habe meinen BMI von fast 60 auf jetzt 34 fast halbiert", erzählt Ellen. Matthias hat seinen BMI von 41 auf 29 verringert. Das ist nicht mehr weit bis zum Normalgewicht. Der BMI, der Body Mass Index, setzt das Körpergewicht in Relation zur Köpergröße. Das Gewicht in Kilogramm wird dazu durch die Größe in Metern zum Quadrat geteilt (kg/m²). Ein 80 kg schwerer Mann, der 1,80 groß ist hat demnach einen BMI von 24,7 und damit Normalgewicht. Ab einem BMI von 30 gilt der Mensch als adipös. Wer einen BMI von mehr als 40 hat, leidet unter extremem Übergewicht.
Immer wieder hatten Ellen und Matthias W. versucht, von ihrem Übergewicht mit Diäten herunterzukommen – mit regelmäßig nur sehr kurzfristigem Erfolg. Schließlich hörte Ellen, dass es im Krankenhaus Bad Cannstatt ein Referenzzentrum für Adipositaschirurgie gibt. Für Menschen mit einem BMI über 40 ist eine Operation zur Magenverkleinerung meist die einzige Möglichkeit, von ihrem extremen Übergewicht herunterzukommen. Die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie im Krankenhaus Bad Cannstatt hat sich u.a. auf die Chirurgie der extremen Adipositas spezialisiert. Dort war zunächst Ellen, einige Monate später Matthias und inzwischen auch die Mutter der Geschwister operiert worden. Eine solche familiäre Häufung, da waren sich die Experten in Bad Cannstatt einig, deutet darauf hin, dass hier ein seltener genetischer Defekt Ursache für die extreme Adipositas sein könnte. In den allermeisten Fällen aber sind eine ganze Reihe von externen Faktoren, die Lebensweise und das persönliche Umfeld Ursache für das extreme Übergewicht. Früher war Bewegung immer und essen manchmal – heute ist Bewegung manchmal und essen immer. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Menschen mit einem BMI über 30 geradezu explodiert. Die Adipositas hat das Ausmaß einer Epidemie erreicht. In den USA gilt heute jeder zweite als adipös. In Deutschland hat mehr als jeder fünfte einen BMI über 30.
Die Chirurgen im Krankenhaus Bad Cannstatt bieten schon seit über 30 Jahren die sogenannte bariatrische Chirurgie zur Reduzierung des Übergewichtes an. Inzwischen führt das Team pro Jahr rund 200 Adipositas-Operationen durch. 2013 wurde die Klinik als Referenzzentrum für Adipositas- und Metabolische Chirurgie von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie zertifiziert. Es war damit das fünfte Zentrum in Deutschland, in denen die Adipositas-Patienten nicht nur operiert, sondern auch umfassend begleitet werden. Viele durchlaufen zunächst eine konservative Behandlung, in der mit einem kontrollierten Ernährungsprogramm und Bewegungstherapie eine Gewichtsreduzierung erreicht wird. Hinzu kommt als zentraler Baustein eine Verhaltenstherapie, die den individuellen Ursachen des Übergewichtes auf den Grund geht.
Die Klinik bietet alle modernen Verfahren der bariatrischen Chirurgie an. Die klassischen Verfahren sind das Magenband, der Bypass und der Schlauchmagen, die heute in den meisten Fällen laparoskopisch, also ohne großen Bauchschnitt, mit der sogenannten Schlüssellochchirurgie durchgeführt werden. Neueste Entwicklung auf diesem Gebiet ist der Spider, ein spezielles Gerät, mit dem für die Operation lediglich kleine Schnitte im Bauchnabel nötig sind, so dass keine sichtbaren Narben zurückbleiben. Deutschlandpremiere hatte der Spider letztes Jahr in der Cannstatter Klinik. Bei allen Operationsverfahren geht es darum, die Aufnahmefähigkeit des Magens zu verkleinern. Bei Ellen wurde der Magen auf einen schmalen Schlauch reduziert. Matthias W. erhielt einen Magenbypass. Auch hier wird der Magen verkleinert und dann mit einer Dünndarmschlinge verbunden. Die Nahrung umgeht dadurch einen Teil des Darms und wird in geringerem Maße vom Körper aufgenommen.
"Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt", beschreibt Ellen ihr Gefühl nach der Operation. Sehr rasch hat sie abgenommen und erlebt, dass die Menschen in ihrer Umgebung wieder offener und respektvoller mit ihr umgehen: "Wir haben uns verändert, aber auch die Welt um uns herum hat sich verändert." Die Operation sei für sie "lebensnotwendig" gewesen, urteilt Ellen heute. Denn das Übergewicht hatte sie auch psychisch sehr belastet. Die positiven Erfahrungen seiner Schwester motivierten auch Matthias W., mit einer Magenverkleinerung dauerhaft etwas gegen sein Übergewicht zu tun. Mit Diäten und Sport hatte er lange gegen die kontinuierliche Gewichtszunahme angekämpft. "Zuletzt habe ich innerhalb eines Jahres 14 Kilogramm zugenommen. Nichts passte mehr, jede Hose war zu eng. Außerdem habe ich mich zunehmend unbeweglich gefühlt." Schließlich kam auch noch Diabetes hinzu.
Der Blutzucker normalisierte sich gleich nach der Operation und auch die überzähligen Pfunde purzelten nur so in den Wochen danach. Inzwischen hat sich das Tempo verlangsamt. Aber nach wie vor geht es bei den Geschwistern runter mit dem Gewicht. "Ich habe ein gutes Köpergefühl und auch wieder Spaß an Bewegung und Sport" sagt Matthias. "Die weitere Gewichtsreduzierung kann ich jetzt ganz gelassen sehen", ergänzt Ellen. "Denn ich kann darauf vertrauen, dass ich nicht irgendwann wieder explodiere." Früher sei sie schon bei leichten Belastungen erschöpft gewesen, habe eine Pause gebraucht. Heute, mit deutlich weniger Gewicht, sei sie viel belastbarer und leistungsfähiger sowohl im Beruf als auch in der Freizeit.