Mit erhobenem Zeigefinger
Mit akut blutenden Krampfadern in der Speiseröhre wurde Dieter Tiedtke ins Katharinenhospital eingeliefert, wo die lebensbedrohlichen Blutungen gestoppt werden konnten. Vor allem dank konsequenter Lebensumstellung kann er heute seinen Ruhestand nahezu vollständig geheilt genießen.
Als es ihrem Mann an einem Samstag im September 2016 von Stunde zu Stunde immer schlechter geht, ruft Brigitte Tiedtke den Notarzt. „Zuvor war es ihm seit zwei Tagen übel, er hat kaum noch etwas gegessen, immer wieder gespuckt und war schließlich ganz apathisch“, erzählt sie. Als der Notarzt eintrifft, ist Dieter Tiedtke bereits im Koma. Da der Notarzt vermutet, es könne sich um einen Schlaganfall handeln, bringt der Notarztwagen den Patienten ins Katharinenhospital. In der Interdisziplinären Notaufnahme wird die Ursache für den Gesundheitszustand des 64-Jährigen schnell klar: akut blutende Krampfadern in der Speiseröhre.
„Diese Krampfaderblutungen in der Speiseröhre sind lebensbedrohlich und erfordern eine rasche Behandlung“, erläutert Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram G. Zoller, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Pneumologie im Katharinenhospital des Klinikums Stuttgart. Mit einer sogenannten Gummiband-Ligatur werden die Krampfadern abgebunden und die Blutung so gestoppt. Mit einem Endoskop „saugt“ der behandelnde Arzt dazu die Krampfader an und „schießt“ dann mit Hilfe einer speziellen Vorrichtung am Ende des Endoskops einen Gummiring über das Blutgefäß.
Dieter Tiedke bekommt von alldem nichts mit. Erst nach drei Tagen erwacht er auf der internistischen Intensivstation aus dem Koma. Inzwischen haben weitere Untersuchungen Ausmaß und Ursache der akuten Blutungen deutlich gemacht. Dass sich die Krampfadern in der Speiseröhre, medizinisch Ösophagusvarizen genannt, überhaupt gebildet haben, liegt an einer weit fortgeschrittenen Leberzirrhose. Dabei löst sich das Lebergewebe auf, es bildet sich Narbengewebe, das nicht mehr in der Lage ist, Nährstoffe aus dem Blut aufzunehmen und das Blut zu reinigen. Zudem ist der Blutfluss durch die Leber eingeschränkt. Normalerweise fließt das nährstoffreiche venöse Blut aus Milz, Magen, Darm und Gallenblase über die Pfortader in die Leber hinein und von dort in die untere Hohlvene. Durch die Leberzirrhose ist der Blutabfluss eingeschränkt. Das Blut staut sich in der Pfortader. Der Körper bildet daraufhin Umgehungs-Blutgefäße um die Leber, die Krampfadern oder Varizen. Ein Teil des Blutes fließt so schließlich aus der Pfortader direkt in die obere und untere Hohlvene. Diese Varizen können sich unter anderem im Magen, der Bauchwand oder eben in der Speiseröhre bilden. Vor allem die Varizen in der Speiseröhre erweitern sich bei erhöhtem Blutdruck in der Pfortader und können schließlich platzen – wie bei Dieter Tiedtke.
Für Prof. Zoller ist auch die Ursache der Leberzirrhose klar: übermäßiger Alkoholgenuss, wie bei den meisten Menschen, die diese gravierende Lebererkrankung entwickeln. Außerdem hat die Ultraschalluntersuchung eine kleinknotige Leberzirrhose ergeben, auch das ein Hinweis auf den viel zu hohen Alkoholkonsum.
„Ich habe dem Alkohol immer gut zugesprochen“, bestätigt dann auch Dieter Tiedtke. Er sei ein unterhaltsamer Partygänger gewesen und habe regelmäßig vorher vorgeglüht, um sich in Stimmung zu bringen. Als Mitarbeiter in einem Steuerbüro habe er sich zudem oft die Probleme der Mandanten zu eigen gemacht. „Das hat mich aufgefressen.“ Den sich abzeichnenden Burn out habe er mit immer mehr Alkohol zu bekämpfen versucht. „Schließlich war das ein ganz klares Suchtverhalten“, sagt er heute selbstkritisch. Zunächst aber konnten auch erhebliche gesundheitlich Einschränkungen durch die bereits diagnostizierte Leberzirrhose ihn nicht vom Trinken abbringen. So hatte sich durch die ungenügend arbeitende Leber schon eine Aszitis, eine Bauchwassersucht, gebildet. Acht Liter Wasser hatten sich im Bauchraum gesammelt und wurden mit einer Punktion abgelassen. „Der erhobene Zeigefinger hat da noch gefehlt“, erinnert sich Dieter Tiedtke.
Der erhobene Zeigefinger
Den erhobenen Zeigefinger zeigt ihm Prof. Zoller, nachdem er schließlich von der Intensivstation auf die Normalstation der Klinik verlegt wird: Nur wenn er seinen Lebensstil gründlich ändere und auf den Alkohol verzichte, bestehe die Hoffnung, dass sich die Leber so weit wieder regeneriert, dass sich die lebensbedrohlichen Krampfadern in der Speiseröhre nicht neu bilden, macht der Chefarzt seinem Patienten sehr deutlich klar. „Durch sein Auftreten ist Professor Zoller solch eine Autorität und Respektperson, dass ich mir geschworen habe, dem zeig ich es jetzt“, sagt Dieter Tiedtke. Er will dem Chefarzt beweisen, dass es ihm gelingt, sein Leben umzustellen und auf den Alkohol zu verzichten – und das ganz allein, ohne Hilfe von außen. Selbstverständlich besucht ihn der Sozialdienst des Katharinenhospitals und rät ihm zu einer Sucht-Rehabilitation oder der Kontaktaufnahme mit einer Selbsthilfegruppe. Das aber ist nichts für Dieter Tiedtke: „Ich bin ziemlich beratungsresistent und entscheide über mich selbst.“ Schließlich habe er auch schon vor längerer Zeit ohne Unterstützung mit dem Rauchen aufgehört.
Und so geht er es an. Der Alkohol ist ab sofort tabu. Zu manchen „Freunden“, mit denen er sich früher oft und gerne zum Feiern und Trinken getroffen hat, gibt es nun keinen Kontakt mehr. Zwar holt er sich keine Unterstützung oder Rat etwa in einer Suchtberatungsstelle oder einer Selbsthilfegruppe, aber er liest viel über Suchterkrankungen. 60 Prozent der Alkoholabhängigen, die mit dem Trinken aufhören, werden rückfällig, liest er. Für ihn aber steht fest. „Da gehöre ich nicht dazu!“ Er könne sich nicht hängen lassen, das Leben soll doch weitergehen. Und: „Fröhlich sein geht auch ohne Alkohol.“ Da er sein ganzes Leben gearbeitet hat, kann er ohne Abstriche etwas früher die Rente beantragen. Und das macht er auch. Damit ist jetzt auch mehr Zeit für die Familie, gemeinsame Aktivitäten mit seiner Frau und für Spaziergänge mit dem Hund Silvio. Das Ehepaar Tiedtke war immer schon sehr reiselustig und so gibt es auch jetzt wieder Reisepläne. Im Oktober wird Dieter Tiedtke erstmal einen alten Schulfreund in Norddeutschland, im „Alten Land“ besuchen. Und für das Frühjahr 2019 ist eine Studienreise durch Südafrika geplant.
Praktisch geheilt
15 Monate nach der akuten Behandlung der blutenden Ösophagusvarizen ist Dieter Tiedtke zur erneuten Nachuntersuchung wieder bei Prof. Zoller im Katharinenhospital. Es ist bereits die dritte Kontrolle, zu der er jeweils zwei Nächte stationär aufgenommen wird. „Ich freue mich jedes Mal, die netten Leute auf der Station wieder zu sehen, die mich während der ersten Wochen hier begleitet und betreut haben“, berichtet er. Vor allem aber ist er gespannt auf die Ergebnisse der neuerlichen Untersuchungen. Über die ist selbst der erfahrene Chefarzt erstaunt. Die Leberzirrhose hat sich auf ein vergleichsweise moderates Krankheitsstadium A zurückgebildet, die Krampfadern in der Speiseröhre sind bei der gastroskopischen Kontrolle kaum noch erkennbar, neue haben sich nicht gebildet. Und auch sonst ist der Patient in einem guten gesundheitlichen Allgemeinzustand. „Neben der medikamentösen Therapie ist das vor allem dem Verzicht auf Alkohol zu verdanken“, urteilt Prof. Zoller. Sein Beispiel zeige, dass sich selbst bei so weit fortgeschrittener Lebererkrankung bei konsequenter Lebensumstellung alles zum Guten wenden könne. „Man kann heute sagen, Herr Tiedtke ist praktisch geheilt.“
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