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Gerettet

Eine scheinbar gesunde, junge Frau erleidet plötzlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Rettungskette funktioniert tadellos. Ivonne B. kann erfolgreich wiederbelebt werden und trägt keinerlei Langzeitschäden davon.

Der 25. Juni war ein Sommertag wie viele andere: Ivonne B. ging arbeiten und anschließend, um der Hitze zu entfliehen, mit ihrem zweijährigen Sohn Lenny ins Freibad. Abends machte sich die sportliche junge Frau wie jede Woche auf den Weg nach Waiblingen, um ihren Sportkurs für Frauen zu geben. Ivonne B. erzählt: „Für mich war das immer ein toller Ausgleich zu meinem Bürojob.“ In der Sporthalle stand die Luft, die Frauen freuten sich trotzdem auf das Sportprogramm und die gemeinsame Zeit. Irgendetwas war an diesem Tag dann doch anders. „Eine Teilnehmerin hat mir später erzählt, dass ich sie lange mit leerem Blick angeschaut habe“, sagt Ivonne B.. Kurz darauf brach die 33-Jährige bewusstlos zusammen. „Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, ist das Zimmer auf der Intensivstation des Klinikums Stuttgart, auf der ich lag als ich wieder aufgewacht bin.“

Christian Hofmann, Facharzt für Anästhesie am Klinikum Stuttgart, war an jenem Dienstag als Notarzt mit der DRF Luftrettung mit dem Rettungshubschrauber im Einsatz. „Wir wurden nach Waiblingen gerufen zur Reanimation einer jungen Patientin“, erinnert er sich. Glücklicherweise hätten die Anwesenden in der Sporthalle direkt erkannt, wie dramatisch die Lage war und sofort mit der Herzdruckmassage begonnen. Und bereits zwei Minuten nach dem Notruf sei ein Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) vor Ort gewesen. „Der frühe Beginn der Herzdruckmassage war die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Reanimation“, sagt der Arzt.

In den Interdisziplinären Notaufnahmen (INA und CINA) des Klinikums Stuttgart im Katharinenhospital und Krankenhaus Bad Cannstatt behandeln Experten verschiedener Fachrichtungen chirurgische, internistische und neurologische Notfälle 24 Stunden am Tag. Seit 2015 ist die Notaufnahme auch Anlaufstelle für Schlaganfallpatienten. Das Notfallteam besteht aus Notfallmedizinern und Ärzten aller Fachrichtungen sowie spezialisierten Notfallpflegekräften und weiteren Berufsgruppen. Durch das breite Fachwissen ist eine schnelle Diagnose und Behandlung unterschiedlichster Notfälle und Krankheitsbilder möglich. Mehr als 100 Patientinnen und Patienten werden jeden Tag in der Interdisziplinären Notaufnahme des Klinikums erstversorgt. „Dass wir das Fachwissen unterschiedlichster Fachrichtungen interdisziplinär anbieten können, ist ein großer Mehrwert für unsere Patienten. Wir können dadurch jedem Patienten schon in der Notaufnahme eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Behandlung anbieten“, sagt Prof. Dr. Tobias Schilling, Ärztlicher Direktor der Interdisziplinären Notaufnahme am Klinikum Stuttgart. Das Klinikum Stuttgart hat mit dem interdisziplinären Notfallversorgungskonzept lange in Deutschland eine Vorreiterrolle eingenommen. 2019 wurde dieses Prinzip deutschlandweit eingeführt.

Neben der Interdisziplinären Notaufnahme gibt es für Patienten mit eindeutig zuzuordnenden Erkrankungen zusätzlich auch Fach-, und Notfallambulanzen für Gynäkologie, Urologie, Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Augenheilkunde, die ebenfalls rund um die Uhr für Notfälle zur Verfügung stehen. Für Kinder befindet sich eine eigene Notaufnahme im Olgahospital, dem Kinderkrankenhaus des Klinikums: die Pädiatrische Interdisziplinäre Notaufnahme (PINA). Hier werden Kinder und Jugendliche rund um die Uhr von Pädiatern, Kinderchirurgen und weiteren Spezialisten versorgt.

Kommunikation war hervorragend

Als das Rettungsteam in Waiblingen eintraf, übernahm es sofort die professionelle Reanimation der jungen Frau. „Wir haben sehr schnell die Entscheidung gefällt die Patientin auf jeden Fall ins Krankenhaus zu transportieren und an eine Herz-Lungen-Maschine (Ecmo) anzuschließen. Wir haben deshalb sofort mit der Suche nach einem verfügbaren Platz begonnen“, berichtet der Anästhesist. Glücklicherweise war gleich der erste Anruf beim Koordinator der Interdisziplinären Notaufnahme (INA) im Katharinenhospital erfolgreich. Dr. Alexander Krohn setzte sofort alle Hebel in Bewegung und traf gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die nötigen Vorbereitungen für die Ankunft der Patientin im Krankenhaus. „Die Kommunikation hat wirklich auf allen Ebenen hervorragend funktioniert“, sagt Notarzt Christian Hofmann. Entscheidend zur erfolgreichen Organisation beigetragen habe auch, dass viele Teammitglieder kurz vorher einen sogenannten „ALS-Kurs“ (advanced life support) absolviert hätten. Die „gemeinsame Sprache“ ALS habe vieles vereinfacht, beschleunigt und sehr effizient gemacht.

Unter laufender Reanimation wurde die junge Patientin ins Klinikum transportiert. Als das Rettungsteam im Katharinenhospital eintraf, stand das Notfallteam, bestehend aus Anästhesisten, Intensivmedizinern und Notfallmedizinern des Klinikums Stuttgart und Herzchirurgen der Sana Herzchirurgie Stuttgart, schon bereit. Ivonne B. wurde sofort an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen.

„Dass die Patientin bis dahin fast 90 Minuten lang keinen eigenen Kreislauf hatte, sondern nur durch Reanimation am Leben erhalten wurde und trotzdem ohne jegliche neurologische Langzeitschäden überlebt hat, das hat uns alle sehr beeindruckt und ist nicht selbstverständlich“, sagt Notarzt Christian Hofmann. „Der Einsatz einer Herz-Lungen- Maschine zur Reanimation ist aktuell die maximal mögliche Behandlung bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand“, informiert Dr. Alexander Krohn, der als Oberarzt nicht nur die Interdisziplinäre Notaufnahme des Katharinenhospitals koordiniert, sondern auch einer der leitenden Notärzte im Rettungsdienstbereich der Landeshauptstadt Stuttgart ist.

Im Simulationszentrum STUPS des Klinikums Stuttgart, Kurszentrum des European Resuscitation Council (ERC), können mit modernster Technik Notfälle von der Geburt bis ins Erwachsenenalter von Ärzten, Pflegekräften, Studierenden und Auszubildenden simuliert und trainiert werden. Auch Zwischenfälle wie Herz-Kreislauf-Stillstände oder Zwischenfälle im OP und auf der Intensivstation werden nachgeahmt. Um die Realität möglichst genau abbilden zu können, nehmen Ärzte, und Pflegekräfte gemeinsam an dem Training teil. „Es ist enorm wichtig, dass die Teams, die zusammenarbeiten auch zusammen trainieren“, sagt Dr. Christina Jaki, Leiterin des STUPS. Das Training schule die Behandlungsteams nicht nur im medizinischen Bereich, sondern verbessere auch die Kommunikation und Zusammenarbeit. Die jährlich über hundert teilweise mehrtägigen Kurse finden im Simulationszentrum selbst oder, wenn möglich und sinnvoll, direkt vor Ort in den jeweiligen Kliniken bzw. auf den Stationen statt. So trainiert beispielsweise das Notaufnahme- Team nicht nur regelmäßig im STUPS, sondern auch einmal jährlich in den Räumen der Notaufnahme. Um Notfallsituationen in einem Rettungswagen unter realistischen Bedingungen zu üben, verfügt das STUPS zudem über einen Simulations-Rettungswagen.

Absolute Höchstleistung

Nach dem Zusammenbruch von Ivonne B. sei sofort mit der Herzdruckmassage begonnen worden. Dies hätte dem Notarzt ermöglicht, bei seinem Eintreffen gleich alle medizinischen Ressourcen zu nutzen. „Das Rettungsteam konnte auch durch seine absolvierten medizinischen Trainings eine absolute Höchstleistung erbringen“, hebt Alexander Krohn hervor. Entsprechend hätte der Notfallsanitäter telefonisch alle nötigen Informationen geben können, um das perfekte Team für die Anlage einer Herz-Lungen-Maschine zusammenstellen zu können. Dr. Krohn: „Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen, insbesondere bei Herausforderungen abseits der Routine, ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich glaube, neben guter Ausbildung sind die reibungslosen Abläufe entscheidend für den Erfolg der Reanimation.“

Ivonne B. verbrachte nach der Reanimation rund vier Wochen auf der Intensivstation, bevor sie auf die Normalstation verlegt werden konnte. „Das war auch für meine Familie eine schwere Zeit“, erinnert sie sich. Ihr damals zweijähriger Sohn musste in dieser Zeit auf seine Mama verzichten. Umso schöner war es, als Ivonne B. ihre Familie dann das erste Mal wieder sehen konnte. „Meine Familie war in dieser Zeit meine größte Stütze“, sagt die heute 35-Jährige. Eine klare Tagesstruktur sei während ihres Krankenhausaufenthalts besonders wichtig für sie gewesen. Dazu zählten auch die regelmäßigen Gespräche mit Krankenhausseelsorger Stefan Pfeifer. „Dass er sich viel Zeit genommen und immer ein offenes Ohr für meine Gedanken hatte, war extrem wertvoll für mich.“

Inzwischen kennt die junge Frau die Ursache für ihren plötzlichen Herzstillstand. Sie leidet an einer Generkrankung namens ARVC – das steht für arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie. Bei der Generkrankung kommt es zu einem fortschreitenden Verlust von Herzmuskelzellen, die durch Fett- und Bindegewebszellen ersetzt werden. Die Erkrankung verursacht Arrhythmien, Synkopen, Herzinsuffizienz und kann sogar zum plötzlichen Herztod führen. Dies konnte bei Ivonne B. durch die erfolgreiche Wiederbelebung verhindert werden. Der jungen Frau wurde inzwischen ein Defibrillator implantiert, der anspringt wenn ihr Herz aus dem Rhythmus gerät. Ivonne B.: „Leider musste er auch schon zweimal anspringen.“

Erleidet jemand einen Herz-Kreislauf-Stillstand, ist es das A und O schnell zu reagieren. „In einem solchen Fall sollten Anwesende sofort einen Notruf absetzen und unmittelbar mit der Wiederbelebung beginnen“, betont Prof. Dr. Andreas Walther, der Ärztliche Direktor der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie. Denn die Sofortmaßnahmen vor Ort können entscheiden, ob jemand einen Herz-Kreislauf- Stillstand überlebt oder nicht. Prof. Walther: „Wichtig ist auch, dass die Reanimation kontinuierlich fortgesetzt wird, bis der professionelle Rettungsdienst eintrifft.“ Wichtig ist, für den Ernstfall gewappnet zu sein. Deshalb empfiehlt Prof. Walther jedem den vorsorglichen Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses: „Dort lernt und übt man die korrekte Herzdruckmassage und lernt, wie korrekte Mundzu- Mund-Beatmung funktioniert.“

Wichtige Tipps auf einen Blick:

  • Bewahren Sie die Ruhe! Prüfen Sie aber sofort Bewusstsein und Atmung.
  • Notarzt unter 112 alarmieren.
  • Beginnen Sie sofort mit einer Herzdruckmassage. Sie sorgt dafür, dass trotz Atem- und Herz-Kreislaufstillstand das im Körper vorhandene sauerstoffgesättigte Blut weiter zu den Zellen (vor allem im Gehirn) transportiert wird. Nach 30 Kompressionen erfolgt eine Atemspende. Sollten Sie sich die Beatmung nicht zutrauen, beschränken Sie sich auf die Herzdruckmassage und führen diese kontinuierlich weiter – solange, bis der Notarzt eintrifft oder der Patient wieder normal atmet.
  • Falls verfügbar, sollten Sie einen automatisierten externen Defibrillator (AED) anwenden. Solche Geräte stehen mittlerweile an vielen zentralen Stellen und in öffentlichen Gebäuden bereit. Sprachanweisungen helfen bei der richtigen Anwendung. Der Einsatz eines automatisierten externen Defibrillators darf niemals die Herzdruckmassage verzögern oder ersetzen.
  • Führen Sie die Reanimation kontinuierlich fort, bis der professionelle Rettungsdienst eintrifft.

Leben mit Defibrillator

Rund zwei Jahre sind seit Ivonne B.s Herzstillstand vergangen. Mittlerweile arbeitet sie wieder in ihrem Beruf als Sozialversicherungsfachangestellte und gemeinsam mit ihrem Mann verwirklicht sie sich gerade den Traum vom eigenen Haus. Ihre Sichtweise auf vieles hat sich durch das, was sie erlebt hat, allerdings verändert. „Durch das ganze Ereignis habe ich viel gelernt und stellte fest, dass das Leben an einem seidenen Faden hängt und gleichzeitig unglaublich robust ist. Unsere Zeit ist begrenzt und die Uhr tickt unaufhörlich. Hin und wieder sollte man daran denken.“ Sie sagt, dass sie viel über das Leben gelernt habe. „Vor allem tiefe Dankbarkeit, Demut, Zuversicht und dass manche Dinge wichtiger sind als andere.“ Sie fügt hinzu: „Ich muss lernen damit zu leben und danke allen, die zu meiner Rettung und Genesung beigetragen haben!“

Department für interdisziplinäre Akut-, Notfall- und Intensivmedizin (DIANI)