Hüpfen gegen Steckenbleiber
Der kleine Mats kommt mit einer seltenen Speiseröhrenfehlbildung auf die Welt. Dank den Expert:innen der Kinderchirurgischen Klinik kann er trotzdem ein unbeschwertes Leben führen.
Mats ist ein kleiner Wirbelwind. Noch vor seiner zwei Jahre älteren Schwester Maila ist er beim Hühnergehege angekommen. „Wir haben neun Hühner und einen Hahn, die haben alle Namen“, erzählt der Sechsjährige stolz und rennt weiter zu den Ponys. Familie Arnold lebt auf einem Aussiedlerhof bei Ravenstein mit Kaninchen, Schildkröten, Ponys, Hühnern und Katze Conny. Im Herbst ist Mats zur Schule gekommen. „Er musste vor der inschulung sogar einen Intelligenztest machen. Danach war allen klar, dass er auf eine Regel-Grundschule geht“, sagt Mutter Lena stolz und erzählt, dass ihr Sohn aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen oft unterschätzt wird. „Inzwischen nutzt Mats das manchmal auch gerne zu seinen Gunsten aus.“
Seltene Fehlbildung
Nicht immer ging es dem blonden Jungen so gut wie heute. Denn Mats ist mit körperlichen Fehlbildungen zur Welt gekommen. „In der 30. Schwangerschaftswoche haben wir beim Ultraschall erfahren, dass unser Sohn verschiedene Fehlbildungen hat, unter anderem an der Speiseröhre, am Herz und an der Wirbelsäule“, erinnert sich Vater Fabian Arnold und Mutter Lena Arnold fügt hinzu: „Ich hatte aber nie Zweifel, dass wir das alles schaffen werden.“
Ösophaguserkrankungen, also Speiseröhrenfehlbildungen, sind sehr seltene Erkrankungen. Nur rund 230 von rund 700.000 Kindern werden jährlich in Deutschland damit geboren. Die Kinderchirurgie des Klinikums Stuttgart im Olgahospital hat eine jahrzehntelange Erfahrung in der Behandlung von Ösophaguserkrankungen. Unter anderem kooperiert sie mit KEKS, der Selbsthilfeorganisation für Kinder und Erwachsene mit kranker Speiseröhre. Unter der Regie von Prof. Dr. Steffan Loff, Ärztlicher Direktor der Kinderchirurgischen Klinik, haben in den letzten 16 Jahren über 150 Speiseröhrenoperationen stattgefunden.
Das Perinatalzentrum des Olgahospitals erfüllt zudem zusammen mit der Neonatologie alle Anforderungen für Zentren der höchsten Versorgungsstufe. Lena und Fabian Arnold haben sich während der Schwangerschaft entschieden, dass ihr Kind nach der Geburt im Olgahospital behandelt und operiert werden soll. „Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass Mats dort in guten Händen sein wird.“
Von Geburt an gut betreut
Sobald die Wehen einsetzten machte sich das Paar deshalb auf den Weg nach Stuttgart. Fabian Arnold: „Die Geburt lief ohne Probleme ganz natürlich ab.“ Die anschließenden Untersuchungen ergaben, „dass Mats' Speiseröhre in zwei Stücke geteilt war, oben ein kurzer, verschlossener Bogen, der untere Teil mündete in die Luftröhre“, erinnert sich Prof. Dr. Steffan Loff. Als erste Maßnahme wurde deshalb einige Tage nach der Geburt die Verbindung zwischen Speiseröhre und Luftröhre operativ verschlossen. „Sonst hätte sich bei jedem Atemzug von Mats sein Magen aufgebläht“, so der Chefarzt.
Mit einer Ernährungspumpe, einer Sonde zum Absaugen von Speichel und Flüssigkeit, Monitorüberwachung und einem Sauerstofftank wurde die Familie nach sechs Wochen nach Hause entlassen. Mats musste über eine Bauchsonde ernährt werden. Trotzdem bekam er von Anfang an das Fläschchen damit er lernt zu trinken. „Die getrunkene Flüssigkeit wurde dann von der Schlürfsonde gleich wieder abgesaugt“, sagt Fabian Arnold. Eine Kinderkrankenpflegerin unterstützte die Familie in dieser anstrengenden Zeit stundenweise, denn das Baby musste 24 Stunden am Tag überwacht werden.
Die Kinderchirurgische Klinik
Die Kinderchirurgische Klinik hat jahrzehntelange Erfahrung in der Behandlung von Fehlbildungen der Speiseröhre und anderen Ösophaguserkrankungen. Zahlreiche Früh- und Neugeborene mit typischer und vor allem komplizierter Ösophagusatresie werden ins Klinikum Stuttgart verlegt oder kommen bereits in der Frauenklinik des Klinikums auf die Welt. Nötige Operationen können so direkt nach der Geburt durchgeführt werden. Durch das Perinatalzentrum ist zudem eine sofortige intensivmedizinische Versorgung kranker Neugeborener oder Frühgeborener durch die ständig anwesenden Spezialist:innen für Neugeborenenmedizin gewährleistet. Auch die Diagnostik und Behandlung von allen Problemen, die sich im Zusammenhang mit der Ösophagusatresie oder anderen Ösophaguserkrankungen ergeben, ist ein medizinischer Schwerpunkt der Klinik. Die Selbsthilfeorganisation für Speiseröhrenerkrankungen KEKS e.V. hat die Kinderchirurgie des Olgahospitals zertifiziert und damit als Kompetenz-Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Ösophagusatresie ausgewiesen.
Lücke von sechs Zentimetern
Im Alter von vier Monaten wurde Mats dann erfolgreich am Herz operiert. Anschließend sollte eigentlich die Speiseröhre geschlossen werden. Doch es stellte sich heraus, dass die Lücke zwischen beiden Enden immer noch sechs Zentimeter betrug. Prof. Dr. Loff: „Wir haben deshalb mit der sogenannten Foker-Prozedur begonnen.“ Die Chirurg:innen befestigten im Rahmen eines operativen Eingriffs Zugfäden am oberen und unteren Speiseröhrenstumpf und führten diese zwischen den Rippen wieder aus dem Körper heraus.
Mit Hilfe von Silikonplättchen erhöhten sie anschließend schrittweise die Spannung auf den Zugfäden immer mehr, um die Speiseröhrenteile zu dehnen. „Damit die Stümpfe nicht verwachsen und beweglich bleiben, mussten wir das Baby in dieser Zeit immer wieder operieren“, sagt der Ösophagusexperte. Schließlich waren die Stümpfe so lang, dass die Ärzt:innen die beiden Teile zu einer durchgehenden Speiseröhre verbinden konnten. „Als Mats schließlich das erste Mal ohne Schlürfsonde trinken durfte und wir auf dem Bildschirm gesehen haben, wie die Flüssigkeit durch die Speiseröhre in den Magen lief, das war ein unbeschreiblicher Moment“, erinnert sich Lena Arnold.
Aber auch die vielen Wochen im Krankenhaus sind bei der Familie noch sehr präsent. Denn Mats hat in seinen ersten beiden Lebensjahren mehr als 300 Tage im Olgahospital verbracht. Gewohnt haben die Arnolds in dieser Zeit im Blauen Haus des Förderkreises Krebskranke Kinder e.V. Stuttgart, aber auch im Elternappartement der Kinderintensivstation. Auch Schwester Maila war die ganze Zeit mit dabei. „Die beiden verstehen sich prima, vielleicht weil Maila so viel mit in der Klinik war“, freut sich Fabian Arnold und erzählt, dass sie in der schweren Zeit unglaublich viel Hilfe von Familie und Freunden bekommen hätten. „Unsere Eltern und Schwestern haben uns im Krankenhaus unterstützt, unsere vielen Freunde und Verwandten haben sich um unseren großen Garten und um unsere Tiere gekümmert.“ Aber auch die Unterstützung im Krankenhaus für die Familie sei riesig gewesen. „Als es sehr heiß war, hat uns einmal eine Krankenschwester für Maila ein Planschbecken gebracht.“
Mats muss in regelmäßigen Abständen für Kontrolluntersuchungen ins Olgahospital. „Wir arbeiten eng mit den Kolleg:innen der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, der Neuropädiatrie, Pneumologie, Orthopädie, Gastroenterologie, Kindernephrologie, Kinderherzchirurgie und Logopädie zusammen. Das ist wichtig bei Speiseröhrenerkrankungen, denn unter anderem kann Reflux Lungenprobleme verursachen“, erklärt der Kinderchirurg. Aber bei Mats sei bisher erfreulicherweise immer alles in Ordnung gewesen. Kinder, die mit einer Ösophaguserkrankung auf die Welt kommen, haben zudem oft das Problem, dass Nahrungsstücke wegen einer Enge im Nahtbereich oder wegen der fehlenden koordinierten Bewegung der reparierten Speiseröhre stecken bleiben. Bei den kleinen Patient:innen muss dann manchmal notfallmäßig die Speiseröhre geweitet werden, damit der Essensrest in den Magen rutschen kann. Mats und seine Familie haben ihre eigene Methode
gefunden, mit dem Problem umzugehen.
„Mein Mann springt dann mit ihm auf dem Trampolin herum, bis der Steckenbleiber wieder rausfliegt. Bisher hat das immer funktioniert“, freut sich Lena Arnold und erzählt, dass sie inzwischen auch mutiger geworden sind: „Im Sommer hat Mats nur mit seiner Schwester und ohne medizinisch geschulte Begleitung beim Ferienprogramm der Gemeinde mitgemacht.“ Und nachdem sie sich viele Jahre höchstens 100 Kilometer vom Olgahospital weggetraut hätten, wären sie diesen Sommer an die Ostsee in den Urlaub gefahren. Ansonsten gilt für die junge Mutter: „Jeden Tag, an dem wir alle gesund sind, bin ich sehr glücklich und zufrieden.“