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Die schriftlichen Abiturprüfungen hat Lukas Schmid bereits geschafft. Nun steht noch die mündliche Prüfung an und dann kann der 18-Jährige in einen neuen Lebensabschnitt starten. Doch für ihn ist es nicht das erste Mal im Leben, dass ein neuer Abschnitt beginnt. Denn vor acht Jahren wurde ihm eine Spenderniere transplantiert. 

Die Erkrankung bei dem damals achtjährigen Jungen beginnt mit Schwellungen im Gesicht. Hinzu kommen Bauchschmerzen und Blut im Urin. „Ich kann mich erinnern, dass wir damals viel im Krankenhaus waren“, sagt Lukas. Da die Symptome auf viele verschiedene Erkrankungen hindeuten können, dauert es bis die Ärzte im Olgahospital am Klinikum Stuttgart diagnostizieren, warum die Nieren des Jungen nicht korrekt arbeiten. Ein entscheidender Hinweis ist eine hohe Konzentration von Eiweiß im Blut. Die Biopsie der Niere bringt Gewissheit: Glomerulonephritis. „Bei dieser Erkrankung entzünden sich die Nierenkörperchen. Ursachen sind allerdings nicht Bakterien, sondern immunologische Vorgänge“, sagt Privatdozent Dr. Martin Bald. Der Kindernephrologe betreut gemeinsam mit dem Team der Pädiatrie 2 aktuell zehn Kinder im angegliederten Dialysezentrum. Nur 20 Dialysezentren für Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland insgesamt, darunter in Tübingen, Heidelberg und München.

Die Niere ist ein paariges Organ, welches beidseitig neben der Wirbelsäule angelegt ist. Sie wiegt bei einem erwachsenen Menschen zwischen 120 und 300 Gramm.  Innerhalb einer Minute durchströmen 20 Prozent der gesamten Blutmenge des Körpers die Nieren. Die Nieren sind das Klär- und Filterwerk des Körpers. Sie scheiden Stoffwechselprodukte und körperfremde Substanzen wie Medikamente aus. Ihre Aufgabe ist es den Wasserhaushalt des Körpers zu regulieren und Hormone für die Blutbildung, den Blutdruck und den Knochenstoffwechsel zu synthetisieren.

Die genaue Ursache für die Entzündung der Nierenkörperchen ist nicht geklärt. Mediziner vermuten eine Fehlregulation des Immunsystems. Um die Entzündung einzudämmen, wird Lukas zunächst mit Kortison behandelt. Eine Zeit lang kann die Entzündung so eingedämmt werden. Doch die anhaltend hohen Eiweißwerte im Blut deuten darauf hin, dass die Krankheit nicht gestoppt werden kann. Die Nieren arbeiten immer schlechter. Ein Jahr nach der Diagnose erklären die Ärzte Lukas und seinen Eltern, dass er nun zur Dialyse muss.  

Die Spezialisten für die Erkrankungen der Nieren von Kindern  wenden zwei verschiedene Verfahren zur sogenannten Nierenersatztherapie an, die Bauchfelldialyse, auch Peritonealdialyse genannt, und die Hämodialyse. Die Hämodialyse ist auch als Blutwäsche bekannt. Die Patienten müssen dafür drei bis vier Mal die Woche für mehrere Stunden ins Olgäle kommen. „Für einige Patienten gibt es keine Alternative zu diesem Verfahren“, sagt PD Dr. Bald. Für Lukas schon: er kann mit der Bauchfelldialyse behandelt werden. Bei diesem Verfahren wir das Blut im Körper des Patienten gereinigt. Das Bauchfell wird als Membran, also Filter, genutzt. Über einen Katheter wird eine Spüllösung in den Bauchraum geleitet. „Diese Lösung nimmt dann die Giftstoffe auf und wird wieder abgeleitet“, sagt der Kindernephrologe. Dieses Verfahren kann über Nacht und bei den Kindern zuhause angewendet werden. Krankenhausaufenthalte sind dafür nicht nötig und die Patienten können weiterhin in die Kita oder in die Schule gehen. Trotzdem schränkt die Dialyse die Kinder stark ein. „Die Dialyse muss jeden Abend um die gleiche Zeit beginnen. Man muss immer pünktlich zuhause sein“, sagt Lukas. Der Katheter lässt den Jungen schlecht schlafen, er ist schlapp und der Austausch der Flüssigkeiten verursacht ein unangenehmes Ziehen im Bauch.

Ursachen für Nierenerkrankungen

Nierenerkrankungen bei Kindern haben unterschiedliche Ursachen. Hierzu zählen angeborene Fehlbildungen der Nieren und der Harnleiter. „Diese Fehlbildungen kann man schon ab der 25. Schwangerschaftswoche im Ultraschall erkennen“, sagt PD. Dr. Bald. Besonders häufig von diesen Fehlbildungen betroffen sind Jungen. Viele Eltern werden daher schon während der Schwangerschaft in der pränatalen Sprechstunde im Olgahospital vorstellig. Gemeinsam planen die Kinderärzte dann die Therapie, welche unmittelbar nach der Geburt beginnt. „Säuglinge mit einem Gewicht von drei bis vier Kilo können bei uns schon eine Dialyse erhalten“, sagt PD Dr. Bald. Nierenersatztherapie erhalten zudem Kinder mit vererbten Erkrankungen der Niere, Zystenbildung und Entzündungen – so wie Lukas. Ein Jahr lang erhält Lukas die Bauchfelldialyse. 

Die Dialyse ist in den meisten Fällen nur eine Zwischenlösung, mit Ausnahme von akuten Erkrankungen der Niere. Bei akuten Nierenversagen erholt sich das Organ wieder und kann das Blut selbstständig filtern. Patienten mit chronischen Nierenleiden dagegen brauchen ein neues Organ. Und so wird Lukas mit den Beginn der Dialyse auf die Warteliste für ein Spenderorgan gesetzt. Rund 8.000 Dialysepatienten warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Organ beträgt sechs Jahre, bei Kindern und Jugendlichen sind es zwei Jahre. 

Notwendige Transplantation

Die Transplantation soll in Heidelberg vorgenommen werden. Ältere Kinder und Jugendliche dagegen werden im Transplantationszentrum am Klinikum Stuttgart operiert. Heidelberg wird so zum Lebensmittelpunkt der Familie. Nicht weiter als zwei bis drei Stunden Autofahrt entfernt sich die Familie von dort. Denn wenn ein passendes Spenderorgan gefunden ist, muss es schnell gehen. In einer Sommernacht 2010 kommt dann der Anruf: es gibt ein Organ für Lukas. Um drei Uhr in der Nacht macht er sich mit seinem Vater auf den Weg nach Heidelberg. „Ich war sehr müde“, erinnert er sich. Noch am selben Tag wird ihm die Niere transplantiert. Nach fünf Wochen in Heidelberg und einer zweiten Operation startet Lukas in den Lebensabschnitt mit der neuen Niere. Dem anonymen Spender ist er sehr dankbar. Lukas fühlt sich nun freier, trotz der vielen Medikamente und der regelmäßigen Kontrolltermine, die nun wieder im Olgahospital stattfinden. Die Medikamente sollen verhindern, dass der Körper die fremde Niere abstößt, indem sie das Immunsystem unterdrücken. So erhöhen sie aber gleichzeitig die Infektanfälligkeit. PD Dr. Bald und das Behandlungsteam behalten zudem den Blutdruck und die Zuckerwerte im Auge. Zu hohe Werte können das neue Organ irreparabel schädigen. 

Alles fast normal

In den letzten acht Jahren konnte Lukas ein fast normales Leben führen. Einzig die insgesamt 14 Tabletten am Tag und ihre Nebenwirkungen erinnern Lukas an das Spenderorgan. Die Einschränkungen im Alltag sind gering. Da seine Krankenhausaufenthalte immer in die Ferienzeit gefallen sind, hat er wenig Unterricht verpasst. „Meine Freunde haben mir bei ihren Besuchen im Krankenhaus oft auch die Hausaufgaben mitgebracht. So konnte ich gut den Anschluss behalten“, sagt Lukas. 

Aufs Rauchen und übermäßigem Konsum von Alkohol muss der 18-Jährige verzichten. „Meine Ernährung soll ausgewogen sein. Nur auf Grapefruit muss ich verzichten“, sagt er. Die Inhaltsstoffe der Frucht können die Wirkung der Medikamente verändern. Und trotz der Immunsuppressiva, ist Lukas nicht anfälliger für Infekte als andere junge Erwachsene. Etwas aufpassen muss er beim Sonnenschutz und bei Sportarten, wo der Bauchraum getroffen werden könnte – wie beim Fußball. „Ich mag eh kein Fußball, daher bin ich auch da nicht eingeschränkt“, sagt er. Er fährt lieber Fahrrad. Im letzten Sommer ist er zusammen mit seinen Freunden nach Köln geradelt. Sechs Tage haben sie sich dafür Zeit genommen. Viele seiner Freunde kennt Lukas schon aus der Zeit vor der Transplantation. Über Organspende haben sich die jungen Erwachsenen häufig unterhalten. „Wer Fragen hat, darf mich gerne ansprechen. Aber ich möchte nicht nur auf dieses Thema reduziert werden“, sagt er. 

 

Unterstützung bei der Transition

Seit drei Monaten wird Lukas in einem sogenannten Transitionsprogramm betreut. Transition ist der Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin. „Für viele junge Erwachsene ist das eine schwierige Zeit. Neue Ärzte und Abläufe führen nicht selten dazu, dass sich die Nierenwerte verschlechtern“, sagt PD Dr. Bald. Auch Lukas hat ein bisschen Sorge wegen des neuen Arztes. Im Olgahospital kennt er viele Mitarbeiter schon sehr lange und die Abläufe sind ihm vertraut. 

Umso mehr ist er über die Unterstützung durch das Programm erfreut. „Meine Ansprechpartnerin hat mir bei der Suche nach einem neuen Arzt geholfen und sie erinnert mich an Termine“, sagt er. Die Betreuung von nierentransplantierten Patienten übernehmen in Deutschland niedergelassene Nephrologen. Viele von ihnen arbeiten eng mit dem Transplantationszentrum am Klinikum Stuttgart zusammen und überweisen ihre Patienten ins Zentrum unter der Leitung von Professor Dr. Vedat Schwenger. 

Trotz des guten Verlaufs seiner Erkrankung macht sich der 18-Jährige auch Gedanken. Denn die gespendete Niere wird nicht sein Leben lang halten. Durchschnittlich 15 Jahre können nierentransplantierte Menschen mit ihrem Spenderorgan leben. Zudem hat er sich immer wieder gefragt, warum gerade er an Glomerulonephritis erkrankt ist; sein Bruder und seine Eltern sind gesund. Die Antwort, die er für sich gefunden hat, ist auch für einen Außenstehenden nachvollziehbar: Die Erkrankung ist für Lukas zur Normalität geworden. Sie schränkt ihn ein, hält aber nicht davon ab, den nächsten Lebensabschnitt zu beginnen.

In Deutschland warten über 10.000 schwerkranke Menschen auf eine Organspende. Die Zahl der gespendeten Organe ist aber rückläufig; 2017 wurden 797 Organe gespendet. 2011 waren es noch 1.200. Die Organspende wird in Europa von der unabhängigen Stiftung Eurotransplant koordiniert. 

Die Niere ist das meistübertragene Organ, gefolgt von Leber- und Lungentransplantationen. Das erste transplantierte Organ in Deutschland war 1963 eine Niere. 

In Deutschland ist festgelegt, dass potentielle Spender bereits zu Lebzeiten ihr Einverständnis geben oder Angehörige entscheiden, ob eine Spende der Wille des Verstorbenen war. Die Entscheidung kann schriftlich in einem Organspendeausweis festgehalten werden.