Herz am rechten Fleck
Lena ist eine lebensfrohe junge Frau. Ihr Herz trägt sie im wahrsten Sinne des Wortes am rechten Fleck – nämlich nicht links, sondern rechts in der Brust. Dank medizinischer Versorgung auf höchstem Niveau kann sie trotz eines komplexen Herzfehlers ein ganz normales Leben führen. Nur abends im Bett, wenn es ganz ruhig ist, hört sie das metallische Klicken ihrer Herzklappe.
„Ihre Geburt in Geislingen verlief ganz normal“, erinnert sich Lenas Mutter, Evelyn Steichele. Doch am nächsten Tag war das Baby ganz grau, hatte blaue Lippen und musste in die Kinderklinik nach Göppingen verlegt werden. Als die Eltern in der Kreisstadt ankamen, war ihr Baby nicht da. Stattdessen erfuhren sie von den Ärzten, dass Lena einen Herzfehler hätte und schon per Krankenwagen auf dem Weg nach Stuttgart sei. Denn das Zentrum für angeborene Herzfehler (ZAHF) im Olgahospital des Klinikums Stuttgart ist spezialisiert auf die Versorgung von Patienten mit angeborenen Herzerkrankungen – vom Neugeborenen bis zum Erwachsenen. „Als wir schließlich im Klinikum Stuttgart eintrafen, lag unser Mädchen schon auf der Kinderintensivstation“, erinnert sich Vater Eugen.
Holpriger Start ins Leben
In sehr seltenen Fällen liegt bei Menschen das Herz statt auf der linken auf der rechten Seite des Brustkorbes. Bei Lena ist das der Fall. Zusätzlich sind ihre Herzkammern vertauscht und die Lungen- und Körperschlagadern verdreht. „Bei ihr hat zudem die Verbindung zwischen Lungenschlagader und Herz gefehlt, deshalb hat sie gleich nach der Geburt Probleme bekommen“, erzählt Dr. Volker Ocker, Oberarzt am ZAHF, der die junge Frau seit ihrem ersten Aufenthalt im Herzzentrum als Baby kennt und mitbetreut. Im Alter von drei Tagen bekam Lena deshalb damals bereits einen Shunt (künstliche Verbindung), der die Durchblutung der Lunge sicherstellte. „Die Ärzte haben uns vor der OP gefragt, ob wir unsere Tochter vorher noch taufen lassen wollen“, sagt Evelyn Steichele, und, dass sie sich bewusst dagegen entschieden hätten. „Wir wollten Lena dem Herrgott noch nicht übergeben, sondern um sie kämpfen.“ Den Kampf hat die Familie gewonnen. Die Operation verlief erfolgreich und nach vier Wochen konnte das Baby aus dem Krankenhaus entlassen werden. Mit acht Monaten wurde Lena ein zweites Mal operiert. „Wir haben ihr eine künstliche Herzklappe eingesetzt und die Lungenschlagader ans Herz angeschlossen“, sagt Dr. Ocker.
Das Zentrum für angeborene Herzfehler (ZAHF) im Olgahospital des Klinikums Stuttgart ist spezialisiert auf die umfassende Versorgung von Patienten mit angeborenen Herzerkrankungen – vom Neugeborenen bis zum Erwachsenen. Über 1.000 Patienten werden dort jährlich betreut und mehr als 150 Operationen am Herzen und Herzkatheterbehandlungen durchgeführt. Dank weiterentwickelter Therapiemöglichkeiten erreichen immer mehr Kinder mit angeborenem Herzfehler das Erwachsenenalter. Die meisten von ihnen kommen auch noch im Erwachsenenalter ins ZAHF, weil sie die professionelle Versorgung schätzen. „Wenn wir die Patienten von klein auf kennen, können wir auch Probleme im Erwachsenenalter gut einschätzen“, sagt Dr. Frank Uhlemann, der als Ärztlicher Direktor seit 25 Jahren das Zentrum leitet.
In Kooperation mit der SANA Herzchirurgie Stuttgart (SHS) bietet das Zentrum das ganze Spektrum der interventionellen Kardiologie und der operativen Versorgung an. Kinderkardiologen arbeiten eng mit Erwachsenenkardiologen und Herzchirurgen zusammen. Experten anderer Fachdisziplinen wie Neonatologen und Intensivmediziner ergänzen das Team. Das ZAHF bietet eine kardiologisch-intensivmedizinische, herzchirurgische und interventionelle Notfallversorgung rund um die Uhr. Schwerpunkte sind die minimalinvasive Chirurgie angeborener Herzfehler, Operationen bei Frühgeborenen sowie die Langzeitbetreuung von Patienten mit Herzrythmusstörungen und von herztransplantierten Kindern. Dr. Uhlemann: „Unser Zentrum verfügt über eines der modernsten Herzkatheterlabore Europas für Kinder mit extrem reduzierter Strahlenbelastung und der Option der dreidimensionalen Darstellung von Herz und Gefäßen. Damit ist eine sehr sichere und gleichzeitig schonende Planung von Interventionen und Operationen möglich.“
2012 erhielt das ZAHF seine Anerkennung als überregionales EMAH-Zentrum (EMAH steht für „Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern“). Es ist bundesweit eines der ersten Zentren, das diese Auszeichnung erreicht hat. Der bislang nur sehr kleine Kreis anerkannter Zentren hat seinen Grund: Das von drei medizinischen Fachgesellschaften – den Deutschen Gesellschaften für Kardiologie, für pädiatrische Kardiologie sowie für Herz-Thorax- und Gefäßchirurgie – vergebene Zertifikat setzt eine umfassende, anspruchsvolle Expertise voraus.
OPs ermöglichen normale Kindheit
Trotz ihres schweren Herzfehlers konnte das Mädchen ein ganz normales Kinderleben führen. „Ich bin in den Kindergarten gegangen, durch die Gegend gerannt, nur, wenn ich erkältet war, musste ich immer schwer schnaufen“, erzählt die inzwischen 20-jährige Lena und auch von der Klassenfahrt als sie 10 Jahre alt war. „Am zweiten Tag beim Wandern habe ich nur sehr schlecht Luft bekommen, meine Mutter musste mich abholen.“ Bei der Untersuchung im ZAHF stellte sich heraus, dass Lenas Lungenschlagader verkalkt und die Aortenklappe undicht geworden war. Bereits vier Wochen später wurden im Rahmen einer großen Operation die Aortenklappe ausgetauscht und beide Herzklappen ersetzt. „Wir waren während des stundenlangen Eingriffs ganz ruhig, wir wussten ja, dass unsere Tochter in sehr guten Händen ist“, beschreiben die Eltern ihre Gefühle während der Operation. Sie wussten, dass auch ihre beiden anderen Töchter, Lilli und Steffi, bei den Großeltern bestens aufgehoben waren.
Gerettet
Der drei Monate alten Theodora wurde am ZAHF in einer kurzfristig durchgeführten Operation an einer fehlgebildeten Herzklappe das Leben gerettet. Mit nur 880 g kam sie als Frühchen auf Zypern auf die Welt. Auf der Mittelmeerinsel gibt es keine auf Kinder spezialisierten Herzchirurgen, die das Mädchen hätten operieren können. Eine Operation im wesentlich näheren Tel Aviv, wie sonst von Zypern aus üblich, war aufgrund der aktuellen politischen Lage nicht möglich.
Die Mediziner wandten sich deshalb in ihrer Not an Dr. Ioannis Tzanavaros, Chefarzt der Kinderherzchirurgie / ZAHF der Sana Herzchirurgie, und selbst Zypriote. Mit Hilfe der Botschaft konnte das Baby dann für die lebensrettende Operation ans Klinikum Stuttgart, Deutschlands größtem Kinderkrankenhaus, verlegt werden.
Durchgeführt wurde die Operation von Dr. Ioannis Tzanavaros persönlich und dem Team des Zentrums für angeborene Herzfehler, Pädiatrische Intensivmedizin, Pneumologie und Allergologie im Olgahospital. „Die betroffene Herzklappe des kleinen Mädchens war gerade einmal fünf Millimeter groß, was eine besondere Konzentration und viel Fingerspitzengefühl während des Eingriffs erforderte“, sagt Dr. Frank Uhlemann, Leiter des ZAHF. Denn für so kleine Babys gibt es keine künstlichen Herzklappen. Die Herzklappen müssen Millimeter für Millimeter rekonstruiert werden, „wofür man einen goldenen chirurgischen Finger braucht“, so Dr. Uhlemann. Der Eingriff verlief hervorragend und die kleine, schon wieder muntere Theodora konnte bereits wenige Tage später mit ihrer Mutter zu ihrer Zwillingsschwester und ihrem Vater nach Hause fliegen.
Dr. Ioannis Tzanavaros ist seit 2009 in der Sana Herzchirurgie Stuttgart tätig gewesen. Vor kurzem ist er in seine Heimat zurückkehrt, um dort – auch mit der im Olgahospital gesammelten Erfahrung – die Kinderherzchirurgie in Zypern aufzubauen. Das Klinikum Stuttgart unterstützt ihn dabei.
Lebenslange Betreuung
Lena Steichele lebt inzwischen bereits seit vielen Jahren mit ihren Eltern und ihren zwei Schwestern Steffi und Lilli in Kißlegg im Allgäu. Trotzdem kommt die 20-Jährige immer noch regelmäßig für alle Kontrolluntersuchungen ins ZAHF im Klinikum Stuttgart. Mutter Evelyn: „Wir sind immer gut betreut worden, deshalb wollten wir nie woanders für Kontrolluntersuchungen hin. Sogar Lenas Weisheitszähne haben wir im Klinikum Stuttgart begutachten lassen.“ Oberarzt Volker Ocker erzählt, dass Lena bei den Kontrolluntersuchungen als Kind immer alles ganz brav mitgemacht hätte. Und Lena erinnert sich: „Als ich als Zehnjährige nach der großen OP auf der Intensivstation lag, wollte ich unbedingt, dass von mir dort ein Foto gemacht wird.“ Die junge Frau muss jeden Tag ihre Blutwerte kontrollieren, andere Einschränkungen hat sie aufgrund ihrer Herzerkrankung nicht. „Ich kann und darf alles machen bis auf Kraftsport.“ Zum Schluss verrät sie noch mit einem Augenzwinkern: „Ich fahre liebend gern in Freizeitparks Achterbahn – trotz entsprechender Warnschilder, dass man bei Herzerkrankungen...“ Weiter spricht sie lieber nicht und lächelt.