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Rechtzeitig gestoppt

Die Zerstörung der Knochen im Fuß war schon weit fortgeschritten – doch dann übernahmen die Spezialisten des Krankenhaus Bad Cannstatt die Behandlung von Edgar Breuning. Dank der erfolgreichen Therapie  seines Charcot-Fußes konnte eine Amputation verhindert werden.

Seine geliebten Zitronenbäume kann sich Edgar Breuning zur Zeit nur sehr selten ansehen. Aus Kernen hat er die Bäume selbst gezüchtet. 25 Treppenstufen und der Hauseingang trennen den 68-Jährigen nicht nur von den Zitronenbäumen, sondern auch von seinem Garten. Mit den Krücken ist es zu beschwerlich, die Treppen mehrmals herunter- und wieder hochzulaufen. Edgar Breuning geht an Krücken, da er eine aufwendige Fuß-OP hatte. Diagnose: CharcotFuß. „Meine Frau und ich hatten noch nie etwas vom Charcot-Fuß gehört“, sagt er.

Der Charcot-Fuß ist eine schmerzfreie und nichtinfektiöse Zerstörung von Knochen und Gelenken im Fuß. Medizinisch wird das Krankheitsbild auch als diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie bezeichnet.

„Der Charcot-Fuß ist eine ernsthafte Komplikation, die vor allem bei Patienten mit einem Diabetes auftritt. Bei einem ungünstigen Verlauf muss der Fuß amputiert werden“, sagt Professor Dr. Ralf Lobmann. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Krankenhaus Bad Cannstatt im Klinikum Stuttgart ist ausgewiesener Experte in der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms.

Fast schmerzfreie Zerstörung

Das Tückische an diesem Krankheitsbild ist, dass die Zerstörung von Knochen und Gelenken weitestgehend schmerzfrei bleibt, da die betroffenen Patienten an einer Neuropathie leiden. Die Nervenzellen sind geschädigt, wodurch es zu Funktionsstörungen und sogar Absterben der Nervenzellen kommt. Nervenimpulse können nicht weitergeleitet werden. Der Patient nimmt keine Schmerzen wahr, was fatale Folgen hat, wenn eine kleine Wunde wochenlang unbemerkt bleibt. Bei Diabetes-Patienten ist der zu hohe Zuckergehalt im Blut die Ursache für die Neuropathie.

Edgar Breuning hat keinen Diabetes, leidet aber trotzdem seit Jahren unter einer Polyneuropathie. „Trotz zahlreicher Untersuchungen konnte die Ursache für die Nervenschädigung nicht gefunden werden“, erzählt er. Wegen der Nervenschädigung und Störungen bei der Wundheilung hat er seit Jahren Probleme mit den Füßen: Wunden wachsen schlecht zu oder entzünden sich. Daher kommt er regelmäßig in die Fußambulanz am Krankenhaus Bad Cannstatt. So auch im Frühsommer 2019.

Michael Schlecht, Oberarzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie, behandelt die Wunde an der Fußsohle von Edgar Breuning und wird auf eine veränderte Fußfehlstellung aufmerksam. „Er hat mich an Dr. Reize verwiesen, der Experte für das Operieren von extremen Fußfehlstellungen ist“, sagt Edgar Breuning. Dr. Reize ist der Ärztliche Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Krankenhaus Bad Cannstatt.

Bis Edgar Breuning an Dr. Reize verwiesen wurde, hatte er zahlreiche Arztbesuche hinter sich. Anfang des Jahres beginnt der Fuß sich zu verändern. Der Mittelfuß dreht sich nach außen. „Da ich keine Schmerzen hatte, bin ich mit meiner Frau im Urlaub durch Venedig gelaufen“, sagt er. Wegen der veränderten Fußstellung ging er aber danach doch zum Arzt. Der Besuch beim Orthopäden bringt auch keine Gewissheit, denn es fehlen die MRT-Bilder. Edgar Breuning trägt weiterhin normale Schuhe und nimmt am Rehasport mit Gerätetraining teil. In der Zwischenzeit bildet sich an der Fußsohle eine Schwiele und der Knochen dreht sich immer weiter nach außen. Im März dann endlich der ambulante MRT-Termin und die Diagnose Charcot-Fuß. Der Orthopäde verschreibt eine kniehohe Zweischalen-Orthese, die auch heute noch im Treppenhaus steht. „Wir hatten ja noch nie von dieser Erkrankung gehört und haben deshalb den Rat des Orthopäden angenommen, uns weitere Meinungen einzuholen“, sagt er. Doch die Zweitmeinungen sind für das Paar ernüchternd: entweder wird sich nur um die Wunde am Fuß gekümmert und die Diagnose Charcot-Fuß ignoriert oder es wird die Einschätzung gegeben, „dass man mit der Wunde ja eh nicht operieren könne“.

Gemeinsame Expertenvisite

Das wache Auge von Oberarzt Schlecht ist Ausdruck der einzigartigen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie und der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie bei der Behandlung von Erkrankungen des diabetischen Fußes.  „Einmal wöchentlich führen wir eine gemeinsame Visite mit Diabetologen und Orthopäden durch. Zudem planen wir frühzeitig die Behandlung und tauschen uns aus“, sagt Dr. Reize. So könne man auch für schwierige Fälle eine erfolgreiche Therapie leisten und nicht selten den Fuß vor einer Amputation bewahren, ergänzt Professor Lobmann. Zu den typischen Symptomen des Charcot-Fuß zählen neben den auffälligen Fußdeformitäten, die meist erst nach Wochen bis Monaten auftreten, Rötungen, Schwellungen und Überwärmung. „Ein Warnsignal ist auch die Differenz der Hauttemperatur von mindestens zwei Grad oder mehr“, sagt Professor Lobmann.

Am Krankenhaus Bad Cannstatt hat sich ein interdisziplinäres Zentrum zur Behandlung des diabetischen Fußes etabliert, das auch von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifiziert wurde. Um den Besonderheiten in der Therapie des CharcotFußes gerecht zu werden und dem Patienten die optimale Behandlung ermöglichen zu können, hat sich eine besonders enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Orthopäden, Diabetologen und Radiologen bewährt. „Die räumliche Nähe der Patienten- und Behandlungszimmer unterstützt diese interdisziplinäre Zusammenarbeit“, ergänzt Dr. Reize.

Drohende Amputation

Als sich Edgar Breuning Anfang Juli bei Dr. Reize vorstellt, ist die Lage ernst. Der Knochen hatte sich komplett nach unten gedrückt, und die Vorderfußknochen hatten sich über die Knochen des restlichen Fußes geschoben. „Ich bin auf dem Knochen gelaufen“, sagt er. „Wenn wir mit der Operation des Charcot-Fußes noch gewartet hätten, hätte sich die Situation weiter verschlechtert, mit der Gefahr einer Amputation“, sagt Dr. Reize. Schockiert hat diese Aussage Rentner Breuning nicht; er war froh, endlich in den Händen eines kompetenten und erfahrenen Arztes zu sein.

Am 19. Juli 2019 werden dem 68-Jährigen Schrauben, Metallplatten- und Stangen in den Fuß eingesetzt. Um den Fuß neu zu konstruieren, verwenden die Orthopäden zudem Fremdknochen. Die Achillessehne wird künstlich verlängert. Der Wiederaufbau des Fußes dauert fünf Stunden. Solch aufwendige Operationen sind keine Seltenheit. „Mit der OP wollen wir die normale Fußform wieder herstellen, damit der Fuß anschließend in einem orthopädischen Schuh gefasst werden kann“, sagt Dr. Reize. Für den erfahrenen Orthopäden ist es eine Herausforderung, Nägel, Schrauben und Platten sicher in den Knochen des Charcot-Fuß zu verankern. Denn durch die Erkrankung bröckeln oder bröseln sie. In schweren Fällen hat sich der Knochen nahezu aufgelöst. Hinzu kommen Infektionen an offenen Stellen, die mit Antibiotika wundsaniert werden müssen.

Bei einigen Patienten werden vor der Operation zur Rekonstruktion des Fußes noch die hauseigenen Gefäßchirurgen oder interventionellen Radiologen tätig. „Häufig leiden die Patienten unter einer Durchblutungsstörung, die für die Heilung hinderlich ist. Unsere erfahrenen Kollegen verbessern daher die Gefäßsituation, bevor mein Team und ich operieren“, sagt Dr. Reize.

Engmaschige Nachsorge

Nicht immer muss der Charcot-Fuß operiert werden – aber Bettruhe ist für ein bis drei Wochen unausweichlich. Der Fuß wird dann mit einem Total-Contact-Cast, einer Art Gips, oder einer konfektionierten Orthese ruhiggestellt, damit er nicht durch weitere Belastung zerstört wird. Mit Hilfe von Medikamenten kann man den Knochen beim Zusammenwachsen unterstützen. „Laufen dürfen die Patienten dann nur mit speziellen Orthesen. Es dauert mindestens zwölf Wochen, bis der Knochen wieder zusammenwächst“, sagt Professor Lobmann. Die gesamte Therapie erstreckt sich über vier bis sechs Monate – bei schweren Fällen auch mal ein Jahr. Auch danach ist die Orthese Pflicht, denn kleinste Traumata können den Fuß nachhaltig schädigen.

Zur Nachsorge kommen alle Patienten in die Fußambulanz am Krankenhaus Bad Cannstatt. Die Füße werden dort kontrolliert und kleine Wunden können sofort versorgt werden. „Diese enge Anbindung der Patienten an das Zentrum ermöglicht die engmaschige Nachsorge“, sagt Professor Lobmann.

Interdisziplinäres Zentrum Diabetischer Fuß
Vor allem Typ-2-Diabetiker sind vom Diabetischen Fußsyndrom betroffen. Im Interdisziplinären Diabetischen Fuß-Zentrum am Krankenhaus Bad Cannstatt im Klinikum Stuttgart arbeiten die Fachdisziplinen Diabetologie, Gefäßchirurgie, interventionelle Radiologie und rekonstruktive orthopädisch-unfallchirurgische Fußchirurgie zusammen – mit dem Ziel des Fußerhalts. Zentrumsleiter ist Professor Dr. Ralf Lobmann.

MVZ-Fußambulanz (gesetzlich Versicherte)
Montag: 9.00 bis 12.00 Uhr
Dienstag: 9.00 bis 12.00 Uhr und 13.00 bis 16.00 Uhr
Donnerstag: 9.00 bis 12.00 Uhr und 13.00 bis 16.00 Uhr
Freitag:  nach Vereinbarung
Anmeldung: Telefon 0711 278-22614 oder -62000

Privatsprechstunde (Prof. Lobmann)
Montag: 14.00 bis 18.00 Uhr
Anmeldung: Telefon 0711 278-44874

Zertifiziertes Zentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie Stuttgart-Bad Cannstatt
In Zusammenarbeit mit Orthopädie- und Schuhtechnik, der Physiotherapie, den Podologen, Rheumatologen, Orthopäden, Unfallchirurgen und Diabetologen bieten die Experten des zertifizierten Zentrums für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie Stuttgart-Bad Cannstatt eine umfassende und innovative konservative sowie operative  Therapie von Fuß- und Sprunggelenkproblemen sowie die Behandlung des diabetischen Fußes an. In der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie ist die Fuß- und Sprunggelenkchirurgie ein besonderer Schwerpunkt. Das Team wird von Dr. Patrik Reize geleitet.

Das Zentrum wurde als 21. Zentrum in der gesamten Bundesrepublik und Österreich zertifiziert, mittlerweile gibt es in Deutschland und Österreich erst 30 Zentren.

Die spezielle Fußsprechstunde in Zusammenarbeit mit Orthopädietechnikern findet dienstags und donnerstags von 10.00 bis 13.00 Uhr statt. Montags gibt es eine Sondersprechstunde Fuß und Sprunggelenk. Terminvereinbarung unter der Telefonnummer 0711 278 - 63001

Spezielle Orthese zur Schonung

19 Tage wird Edgar Breuning stationär im Krankenhaus Bad Cannstatt versorgt. Im Vordergrund steht dabei die Mobilisierung des Patienten. Zwei Tage nach dem Eingriff beginnen die Physiotherapeuten mit ihm, das Laufen und Treppensteigen mit Krücken zu üben. „Treppensteigen mit Krücken habe ich schon zuhause mit meiner Physiotherapeutin geübt. Denn bis in unsere Wohnung muss ich viele Treppenstufen überwinden“, sagt Edgar Breuning. Ein spezieller Schuh aus Kunststoff mit einem Innenschuh schützt den frischoperierten Fuß. Im Innenschuh kann ein Vakuum erzeugt werden. „Der Fuß wird so getragen und ist vor Belastung geschützt“, erklärt Dr. Reize. Die Unterschenkel-Fußorthese mit Innenschuh, in dem ein Vakuum erzeugt werden kann, muss Edgar Breuning drei Monate lang Tag und Nacht tragen.

Alle zwei Tage schaut nun eine Mitarbeiterin des ambulanten Pflegediensts vorbei, um den Wundverband zu wechseln. Wöchentlich kontrollieren die Experten am Krankenhaus Bad Cannstatt die Wundheilung und nehmen Abstriche und Blutproben. Anfangs hatte die Neuropathie bei Edgar Breuning die Wundheilung gehemmt, aber mittlerweile verheilt die Wunde gut und auch die ersten Röntgenaufnahmen stimmen alle positiv.

Mindestens ein Jahr lang wird Edgar Breuning eine Orthese tragen, die über den Knöchel reicht. So wird der neukonstruierte Fuß stabilisiert. Mit dieser Orthese ist er dann aber deutlich mobiler und die Treppen zur Wohnung stellen ein weniger großes Hindernis dar, in den Garten mit den Zitronenbäumen zu kommen. Und vielleicht holen er und seine Frau sogar die abgesagte Sizilienreise nach – um die dortigen Zitronenbäume zu bestaunen.