Weg zurück ins Leben
Von 170 Kilo runter auf 86 Kilo: Florian Smarsley hat das geschafft. Geholfen haben ihm dabei die Expertinnen und Experten des Adipositas-Zentrums am Klinikum Stuttgart.
Zwei Erlebnisse haben sich bei Florian Smarsley tief ins Gedächtnis eingebrannt: Eines davon ist, wie er als Jugendlicher voll Vorfreude ewig im Europa-Park beim Silver Star, der höchsten Achterbahn Europas, anstand. Doch dann bekam er den Bügel aufgrund seiner Körperfülle nicht zu und durfte nicht mitfahren. Und dann gab es diesen Tag, als ihn ein Kardiologe ansah und ohne ihn untersucht zu haben, sagte: „Bei Ihrer Fülle kann Ihr Herz nur krank sein.“ Auch wenn das Herz des damals 25-Jährigen doch gesund war, vergessen kann er die Bemerkung des Arztes bis heute nicht.
Adipositas ist kein Figurproblem von Menschen, die ihren Appetit nicht zügeln können, sondern eine chronische Erkrankung. „Fettleibigkeit ist eine Regulationsstörung, bei der der Körper falsch signalisiert, wie viel Essen er täglich braucht“, sagt Dr. Tobias Meile, Leiter des Adipositas-Zentrums des Klinikum Stuttgarts. Er findet deshalb Bemerkungen wie, „essen Sie doch einfach weniger“, völlig fehl am Platz. Auch hoher Blutdruck zum Beispiel sei eine Regulationsstörung. „Da sagt man doch auch nicht zum Patienten, er soll sich einfach weniger aufregen, sondern verordnet Medikamente.“ Adipöse Menschen würden mit ihren Problemen noch zu oft alleine gelassen:
„Adipositas ist leider immer noch nicht als Krankheit in der Bevölkerung anerkannt.“ Eine Operation könne vielen dieser Menschen helfen, deren Lebensqualität und Lebenserwartung deutlich zu steigern und gleichzeitig Kosten für das Gesundheitssystem zu sparen. Dr. Meile: „Deutschland gehört in der EU zum Schlusslicht bei der Anzahl chirurgischer Eingriffe bei Adipositas. Das Vorurteil, mit etwas Disziplin nehme man auch ohne Operation ab, stimmt einfach nicht. Adipositas ist eine Krankheit und eine rechtzeitige Operation erspart den Patienten viel Leid.“
Das Adipositas-Zentrum
Das Adipositas-Zentrum im Klinikum Stuttgart wurde 2022 von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie als Exzellenzzentrum für Adipositas-Chirurgie ausgezeichnet. Mit circa 1.000 Operationen und circa 5.000 ambulanten Patient:innen jährlich gehört das Adipositas-Zentrum im Klinikum Stuttgart zu den drei größten Zentren in Deutschland. Adipositas mit ihren Nebenerkrankungen, insbesondere dem Diabetes mellitus, Gelenkverschleiß, Immobilität und häufiger Arbeitsunfähigkeit, ist eine sehr komplexe Erkrankung.
Das Klinikum Stuttgart bietet mit seinen Spezialdisziplinen, von der Psychosomatik über die Diabetologie und die Endokrinologie bis hin zur Gastroenterologie und der Viszeralchirurgie die gesamte Palette an Diagnostik und Therapie an. Neben den konservativen Angeboten samt Ernährungsberatung, Physiotherapie und Einsatz von Medikamenten, kommen interventionellen Verfahren wie der Endoskopischen Sleeve Gastroplastie (ESG) oder der Adipositas-Chirurgie, beispielsweise dem Schlauchmagen oder Bypass, eine immer größere Bedeutung zu.
Viel mehr als nur ein kosmetisches Problem
Fettleibigkeit belastet den ganzen Körper und birgt daher ein hohes Risiko von Folgeerkrankungen – von Herzinfarkt über Diabetes bis hin zu verschiedenen Krebserkrankungen. Dass laut Robert-Koch-Institut inzwischen ein Viertel der Männer und Frauen in Deutschland adipös sind, ist daher ein großes Problem. Als übergewichtig gelten 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen. Auch die rasche Zunahme von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen bereitet Experten Sorgen. Rund sechs Prozent der Kinder in Deutschland sind bereits fettleibig, weitere 15 Prozent sind übergewichtig.
Menschen, die unter starkem Übergewicht oder Adipositas leiden, haben oft schon einen langen Weg mit vielen unwirksamen Diätversuchen hinter sich. Für viele ist eine Operation eine Chance, ihr Übergewicht dauerhaft zu reduzieren. Im Adipositas-Zentrum des Klinikums Stuttgart werden sie dabei auch psychologisch und ernährungsmedizinisch begleitet. Vor allem Patient:innen mit schwerer Adipositas profitieren dabei von einem chirurgischen Eingriff zur Gewichtsreduktion. Wie aktuelle Studien belegen, kommt es infolge der Operation und dank der Gewichtsreduzierung zu einem zum Teil erheblichen Rückgang der Begleiterkrankungen. „Bei bis zu 80 Prozent der Patienten kommt es zu einer Remission bei Diabetes mellitus Typ-2. Der Blutdruck verbessert sich um 50 bis 90 Prozent und degenerative Gelenkerkrankungen gehen zurück“, sagt Dr. Tobias Meile. Über 95 Prozent der Patient:innen berichteten zudem von einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität durch den bariatrischen Eingriff.
Diäten und Jojo-Effekt
Auch Florian Smarsley hatte schon als Kleinkind zu viel auf den Rippen, als Schulkind war er bereits adipös. „Ich habe aber trotzdem beim Schulsport immer mitgemacht, auch wenn das furchtbar frustrierend war“, erinnert sich der heute 30-Jährige, dem seine Freunde immer Kraft gaben. Sie akzeptierten ihn so wie er war: dick. „Aber natürlich bin ich auch aufgrund meines Gewichts gemobbt worden.“ Gleichzeitig war Essen für ihn aber auch immer ein Seelentröster. „Wenn ich traurig war, wenn mir langweilig war, habe ich versucht das durch Essen zu kompensieren. Und wenn es mir geschmeckt hat, konnte ich nicht aufhören zu essen.“ Als Jugendlicher und junger Erwachsener hat der Göppinger immer Diäten gemacht, einmal sogar 40 Kilogramm abgenommen. Dann aber hat er es erneut schleifen lassen und die Kilos waren bald wieder drauf. Irgendwann wog er über 170 Kilogramm bei einer Größe von 1,78 Meter, sein Body-Mass-Index war höher als 50. Er war schwer adipös.
Die Bemerkung des Kardiologen über sein Herz ließ Florian Smarsley keine Ruhe. Er machte einen Termin beim Adipositas-Zentrum des Klinikums Stuttgart in Bad Cannstatt aus, das als eines der wenigen bundesweit zertifizierten Exzellenzzentren für Adipositas-Chirurgie anerkannt ist. Dort wurde der junge Mann gründlich untersucht und beraten. Aufgrund des breiten Spektrums angebotener Therapien und der langjährigen Erfahrung der Ärzte konnte mit dem Patienten ein geeignetes Verfahren ausgewählt werden. Zusätzlich bereitete er sich in einer Gruppe sechs Monate auf die Operation vor. Im November 2020 wurde der junge Mann operiert. Bei einer Bypass-Operation wurde ein kleiner Teil seines Magens direkt mit dem Dünndarm verbunden, die Nahrungspassage durch den Restmagen und den Zwölffingerdarm komplett ausgeschaltet.
„Nach der Operation bin ich in ein Loch gefallen. Ich musste erst einmal damit klar kommen, nach vier Löffeln Joghurt satt zu sein und andere Wege als Essen zur Verarbeitung meiner Gefühle finden“, erinnert er sich, und auch an seine Gewichtsreduktion. „Mit 146 Kilogramm bin ich operiert worden, Innerhalb von sechs Monaten habe ich über 40 Kilogramm abgenommen, nach einem Jahr wog ich noch 86 Kilogramm.“
Psyche gestärkt
Florian Smarsley reduzierte nicht nur sein Gewicht enorm, sondern nahm auch an einer Coaching-Ausbildung als psychologischer Berater teil. „Dadurch konnte ich einen Rundumschlag für meine Psyche machen. Das war wichtig“, freut er sich. Essenstechnisch schafft er heute gerade mal eine „halbe Portion von allem“. Nichtsdestotrotz wird das Thema Essen eine lebenslange Herausforderung für ihn bleiben. „Um eine Unterversorgung mit bestimmten Nährstoffen aufgrund des Bypasses zu vermeiden, muss ich gut auf meine Ernährung achten und zusätzlich Vitamine und Mineralstoffe zu mir nehmen.“ Zudem geht er dreimal in der Woche zum Muskelaufbau ins Fitnessstudio.
Ein Jahr nach der OP machte Florian Smarsley erneut einen Ausflug in den Europapark. „Der Bügel bei der Silver Star ging problemlos zu, ich bin vor lauter Freude den ganzen Tag Achterbahn gefahren.“ Im Frühjahr war er zum Surfen in Spanien. „Früher konnte ich aufgrund meiner Fülle vieles nicht machen, ich habe so viel nachzuholen …“