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Pilotprojekt mit der Staatsgalerie Kunst*Kraft*Werke: Der andere Blick

Es gibt mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Neuroästhetik und Neuroplastizität die zeigen, dass die Beschäftigung mit Kunst einen positiven Effekt auf die Lebensqualität und auch auf die kognitiven Fähigkeiten hat. Diese faszinierenden Ergebnisse motivierten Minou Nadji-Ohl (Oberärztin für Neurochirurgie und Leiterin der Neuroonkologie am Klinikum Stuttgart) zum Pilotprojekt Kunst*Kraft*Werke mit der Staatsgalerie. Von Beginn an seit 2023 mit dabei: Kunstvermittler Andreas Pinczewski. Ihn motiviert dabei ganz besonders die Leidenschaft dafür, die Kunstgeschichte in andere Disziplinen zu tragen und mit diesen zu verbinden. Inhaltlich zielt das Projekt auf die Frage ab, wie sich das Betrachten und Erleben von Bildender Kunst auf das Wohlbefinden von Menschen auswirkt und welche unterstützende Wirkung sie haben kann.

Minou Nadji-Ohl: Eine große Freude ist, dass das Angebot sehr gut angenommen wird. Alle Führungen waren bisher in kürzester Zeit komplett ausgebucht. Bei einer Teilnehmerzahl von maximal 25 Personen ist das ein sehr gutes Ergebnis.

Andreas Pinczewski: Ich hatte keinen Zweifel, dass das Angebot gut ankommen würde, insofern ist der bisherige Erfolg nicht unerwartet. Überraschend war allerdings, dass auch so genannte „Kunstmuffel“ so schnell und begeistert mitmachen und dass das Interesse auch der breiteren Öffentlichkeit so groß wurde, dass noch ein eigenes, wenn auch abgewandeltes Format, jetzt regelmäßig im öffentlichen Programm der Staatsgalerie angeboten wird.

Minou Nadji-Ohl: Die Themen werden nach Kriterien aus der Neuroästhetik und der Gestaltstheorie gewählt. Zu jedem Thema werden gemeinsam Bilder aus den Sammlungen der Staatsgalerie ausgesucht, in denen die entsprechenden Themen zu finden sind.

Andreas Pinczewski: Gestaltorientiert zu arbeiten, heißt dass wir die semantischen oder ikonographischen Inhalte zunächst außen vor lassen, ebenso die ästhetischen, wie „schön“ oder „hässlich“, und stattdessen auf die rein visuell vorhandenen Fakten konzentrieren. Abstrakte Werke funktionieren in diesem Zusammenhang besser als darstellende und es führt zu oftmals überraschenden Ergebnissen, wenn erkannt wird, dass abstrakte und abbildende Werke gar nicht so weit voneinander entfernt sind als gedacht.

Ein weiteres Auswahlkriterium ist auch die örtliche Nähe im Museumsraum. Es sollte nach Möglichkeit ein sinnvoller Fluss entstehen.

Minou Nadji-Ohl: Für eine Weile die Sorgen und Ängste vergessen.

Andreas Pinczewski: Den Vergleich mit Medikamenten kann ich nicht anstellen, aber Kunst, bzw. das Betrachten und Analysieren von Kunst, erweitert den Horizont, schafft Sinn und Sinnzusammenhänge und schärft die Aufmerksamkeit, Konzentration und erleichtert auch außerhalb des Kunstkontexts mentale Transferleistungen in Gang zu setzen. Zudem kann sie das Ich im Raum kognitiv verorten.

Minou Nadji-Ohl: Durch die Beschäftigung mit Kunst werden Hirnregionen stimuliert, welche zum Wohlbefinden beitragen. Der Stresslevel sinkt, Angst und Sorgen nehmen ab.

Die Betrachtung von Gemälden stimuliert nicht nur das visuelle System, sondern auch andere Netzwerke wie zum Beispiel das Gedächtnis.

Da unsere Führungen immer auch von passenden Musikstücken begleitet werden, wird zudem die emotionalen Ebene angesprochen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass sowohl Patienten als auch ihre Angehörige oft infolge der Erkrankung in ihrem Alltag eingeschränkt sind. In Rahmen der geschützten Führungen können sie wieder an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehmen. Sie können wieder ein Stück „Normalität“ erfahren.

Minou Nadji-Ohl: Die Kooperation mit der Staatsgalerie wird für ein weiteres Jahr fortgesetzt. Vorgesehen sind 12 Führungen für Patienten und Angehörige zu unterschiedlichen Themen. Hinzu kommen zwei  öffentliche Abendvorträge für alle Interessierte zum Thema Kunst & Neuroästhetik.

Weiterführende Informationen und Ansprechpartner

Staatsgalerie Stuttgart