Diagnose Neustart 240 Tage und ein Festival
Eines stand bei Georgios, Rufname Georg, schon ganz früh fest: die berufliche Laufbahn. Bereits mit 16 hat er neben der Schule Reisen für Jugendliche mit Behinderung ehrenamtlich im Verein „Club 82 e.V.“ betreut. Für sein FSJ und die darauffolgende Ausbildung als Heilerziehungspfleger ist er nach dem Abitur in den Schwarzwald gezogen. „Dass ich mit Kindern gut kann, wusste ich schon immer“, sagt der 25-Jährige und lächelt. Die Freude war groß, als der Vertrag für den Traumjob in der alten Heimat in einer Kita in Stuttgart zur Unterschrift vorlag. Was ihn zu dem Zeitpunkt aber schon beschäftigte: seine eigene Stimmungslage. „Ich war schon längere Zeit im Schwarzwald nicht so gut drauf“, erzählt Georg und wippt mit dem Fuß. Hinzu kam regelmäßiges Nasenbluten. „Nicht viel, aber eigentlich ständig ein paar Tropfen“, sagt er. Mehrere Krankenhausaufenthalte im Schwarzwald und eine Nasennebenhöhlen-OP 2020 waren leider jeweils nur mit einem temporären Erfolg verbunden. „Nach zwei Wochen fing es meistens wieder an zu bluten“, sagt er und wird etwas ernster. Denn für ihn war nach den weiterführenden Untersuchungen die Diagnose Krebs 2022 irgendwie auch eine Erleichterung. „Endlich eine Diagnose und keine reine Behandlung von Symptomen mehr“, sagt Georg heute.
Georgs Diagnose, ein Angiosarkom der Kieferhöhle, ist eine hochgradig aggressive Krebsart – aber auch eine sehr seltene. Nur etwa 1% aller Krebserkrankungen sind Sarkome. Die Zahl der Angiosarkom-Neuerkrankungen in Deutschland liegt bei 400 bis 500 Fällen pro Jahr. Genau deshalb blieb die Erkrankung auch anfangs unentdeckt. „Das Angiosarkom geht von Endothelzellen aus, also von Zellen, die die Innenseite von Blutgefäßen auskleiden. Sie kann überall im Körper auftreten, kommt aber am häufigsten in der Haut, der Brust, der Leber, der Milz und im tiefen Gewebe vor. Aufgrund ihres aggressiven Charakters und der damit verbundenen hohen Rezidivrate und Behandlungsresistenz stellt die Krebsart eine besondere Herausforderung dar“, erklärt Dr. Dennis Hahn. Er war und ist Georgs ärztlicher Ansprechpartner, denn eine engmaschige Kontrolle ist bei dieser Form der Krebserkrankung eine der wichtigsten Inhalte der Nachbehandlung. Für den Erzieher heißt das: Alle drei Monate ein MRT des Schädels und ein CT des Thorax. „Wenn diese Form des Krebs metastasiert, dann betrifft das häufig die Lunge und genau deshalb ist es wichtig, in der Nachsorge neben einem MRT des Ursprungsortes auch ein CT des Thorax zu integrieren“, erklärt Dr. Hahn.
Wie gut Georg die Behandlungsphasen aus Chemotherapie und Bestrahlung verkraftet hat, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. „Eine so aggressive Krebsart braucht auch eine intensive Therapie, welche Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie beinhaltet – was wiederum ein besonders gutes Nebenwirkungsmanagement einfordert“, so der Oberarzt. Umso wichtiger, dass in solch einem Fall eine durchgängige Beratung und Hilfestellung angeboten wird. Oder in Georgs Worten: „Und dann stand Frau Ebert in der Türe. Und ganz ehrlich, ich war froh, dass sie dastand.“ Als eine von sieben onkologischen Patientenlotsinnen im Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl sitzt Christine Ebert den wöchentlich stattfindenden Tumorkonferenzen bei und geht im Anschluss auf Patient:innen zu. Als „roter Faden“ über alle Behandlungsschritte hinweg informiert, unterstützt und begleitet sie. Hierbei betreut jede der onkologischen Patientenlotsinnen eine Entität, um die notwendige medizinisch-fachliche Expertise bieten zu können. Dies auch klinikübergreifend, als Georg für die Schwerionen-Strahlentherapie im Klinikum in Heidelberg ist. „Ich konnte alles bei ihr platzieren und wusste: Da kümmert sich wer und es geht nichts vergessen“, sagt Georg.
Insgesamt 240 Tage ist der junge Mann im Krankenhaus. Und auch wenn viele Besuche von Familie und Freunden und ein grundlegend positives Mindset für mehr gute als schlechte Tage sorgen – ab und an fällt ihm die Decke auf den Kopf. Was dann geholfen hat? „Zukunftspläne schmieden. In meinem Fall: Wo will ich noch hinreisen, welche Sportevents will ich in Zukunft besuchen und wie und wo will ich wohnen und ganz klar – bei guter körperlicher Verfassung – rausgehen.“ Der Wahl-Beutelsbacher hat in den Behandlungspausen nicht nur an einer 50-Kilometer-Wanderung in Freiburg teilgenommen, sondern war auch mit Freunden auf einem Festival in Österreich. Bei letzterem griffen alle seine Freunde kurzerhand zum Rasierer und machten kurzen Prozess mit ihren Haaren. „Alleine habe ich mich während der ganzen Zeit nie gefühlt“, sagt er und fügt an, dass die Krankheit natürlich dennoch auch einiges mit sich bringt, was nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. So fühlte er sich nach der ganzen Zeit im Krankenhaus erst einmal nicht mehr ganz sozial kompatibel. „Nach einem Jahr mehr oder weniger alleine mit sich und seinen Gedanken und größtenteils in einem Krankenhauszimmer, da braucht es zwei, drei Monate, bis man wieder zurückfindet ins Leben“, sagt er. Sonst, sagt Georg, hat er aber nicht ganz so viel Nachholbedarf: „Exzesse waren noch nie meine Welt.“ Stück für Stück mehr Sport, wieder an Triathlon-Wettkämpfen teilnehmen, den Traumjob genießen und wenn es dann doch mal mehr Ruhe sein darf, seinem Lieblingshobby, dem Angeln nachgehen, sind seine Pläne. Das hierbei alle drei Monate eine Kontrolle bei Dr. Hahn ansteht, stört den Mittzwanziger nicht, denn: „Ich verbinde nichts Negatives mit meinem Arzt. Ganz im Gegenteil. Er hat nie um den heißen Brei geredet und war und ist trotzdem empathisch“, summiert Georg.