Chronische Schmerzstörungen
Eine chronische Schmerzstörung besteht, wenn Kinder und Jugendliche zwei- bis dreimal pro Woche wiederkehrende Schmerzen über einen Zeitraum von drei Monaten oder länger haben. Daran leiden in Baden-Württemberg ca. 66.500 Kinder und Jugendliche. Die Schmerzen können die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen und führen oft zu Leistungsbeeinträchtigungen sowie zu Schulfehlzeiten und Arztbesuchen. Wenn die Betroffenen unbehandelt bleiben oder die Behandlung nicht erfolgreich verläuft, bleiben die Schmerzen oft bis ins Erwachsenenalter bestehen und sind mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen wie Angst und Depression verbunden. Schmerzfreiheit ist eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde psychosoziale Entwicklung sowie einen erfolgreichen Schulbesuch und damit Bildung und Zukunft. Deshalb ist es wichtig, dass die betroffenen Kinder frühzeitig in einer Abteilung für Kinder- und Jugendschmerztherapie behandelt werden.
Chronische Kopfschmerzen sind der häufigste Grund für eine Vorstellung in unserer Schmerzambulanz. Häufig beeinträchtigen sie den Alltag der betroffenen Kinder durch Konzentrationsstörungen und Einschränkungen bei Freizeitaktivitäten und beim Schulbesuch. Am häufigsten treten Spannungskopfschmerzen (18,5%) und Migräne (7,5%) bei Kindern und Jugendlichen auf. Spannungskopfschmerzen werden als Druckgefühl im Kopf beschrieben, sie können durch Stress, Anspannung und mangelnde körperliche Aktivität ausgelöst oder verstärkt werden. Migränekopfschmerzen sind stärker und eher mit einem Hämmern oder Pochen im Kopf vergleichbar. Sie nehmen bei körperlicher Anstrengung zu und sind oft von Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen begleitet. Für die Therapie ist die Unterscheidung zwischen Migräne und Spannungskopfschmerzen wichtig. Bei Migräne helfen in der Regel Medikamente gut, bei Spannungskopfschmerzen jedoch nicht. Wer bei Spannungskopfschmerzen zu häufig Schmerzmittel einnimmt, kann damit sogar Kopfschmerzen auslösen oder verstärken (Analgetika induzierte Kopfschmerzen). Spannungskopfschmerzen werden erfolgreich mit Ablenkungstechniken und einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Andere Ursachen für Kopfschmerzen, wie z.B. ein Hirntumor, sind bei Kindern und Jugendlichen glücklicherweise selten. Manchmal müssen sie durch bestimmte Untersuchungen (z. B. MRT des Kopfes, Augenarzt) ausgeschlossen werden.
Chronische Bauchschmerzen gehören im Kindergarten- und Grundschulalter zu den häufigsten Beschwerden (8-40%). Meist handelt es sich um funktionelle Bauchschmerzen ohne strukturelle Organschäden. Eine Magen-Darm-Krankheit oder Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten (z. B. Fructose- oder Lactoseintoleranz) sind seltene Ursachen.
Chronische Muskel- und Gelenkschmerzen sind bei Kindern und Jugendlichen der dritthäufigste Schmerzort. Meist handelt es sich um funktionelle Schmerzen ohne strukturelle Organschäden. Anhaltende Muskelschmerzen in Verbindung mit Müdigkeit, Kopfschmerzen, Durchfall, Angst, Anspannung oder Schlafstörungen können durch ein sog. juveniles Fibromyalgie-Syndrom bedingt sein, eine chronische Schmerzstörung, bei der bestimmte Körperstellen (sog. „Tender-Points“) vermehrt druckschmerzhaft sind. Starke Schmerzen an der Hand oder am Fuß nach einer harmlosen Verletzung (z. B. Umknicken mit dem Fuß) können in Verbindung mit einer Schwellung und Hautveränderungen (Verfärbung, Austrocknung) auf ein komplexes regionales Schmerz-Syndrom (CRPS) hinweisen. Eine Gelenk- oder Muskelentzündung (rheumatoide Arthritis, Myositis) sind weitere seltene Ursachen.
Chronische Schmerzen bei organischen Erkrankungen sind häufig, insbesondere bei neurologischen Erkrankungen (z. B. bei spastischer Cerebralparese 70%). Oft gibt es mehrere Ursachen, die sich gegenseitig verstärken, wie eine Funktionsstörung der Nerven (neuropathische Schmerzen) oder eine Reizung der Schmerzrezeptoren (nozizeptive Schmerzen) durch die Gelenkversteifung, Skoliose oder Hüftluxation. Die Schmerzen können die Lebensqualität der Kinder ebenso stark beeinträchtigen wie die Grunderkrankung.
Chronische Schmerzen bzw. eine chronische Schmerzstörung entstehen oft nach dem gleichen Prinzip. Wiederkehrende Schmerzen (z. B. durch eine Entzündung oder eine genetische Veranlagung bei Migräne) beherrschen die Aufmerksamkeit des Betroffenen. Zur Angst vor einer schlimmen Krankheit kommen immer mehr negative Gedanken („Der Schmerz geht nicht mehr weg“) und Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und eine depressive Verstimmung. Die Betroffenen versuchen sich zu schützen, indem sie sich zurückziehen und nicht mehr regelmäßig zu Freunden oder in die Schule gehen. Dadurch reduziert sich die Ablenkung vom Schmerz, so dass die gesamte Aufmerksamkeit der Betroffenen und häufig auch die der Angehörigen auf den Schmerz gerichtet ist. Durch diesen "Teufelskreis" entsteht das Schmerzgedächtnis, d.h. Zellverbindungen (Synapsen) im Gehirn, in denen der Schmerz gespeichert wird. Die Folge ist, dass die Schmerzschwellen absinken und bereits kleine Schmerzreize starke Schmerzen auslösen.
Für die Diagnostik stehen alle notwendigen Untersuchungsmöglichkeiten, wie die Quantitative sensorische Testung (QST), neurophysiologische und bildgebende Untersuchungen (Sonographie, MRT) zur Verfügung. Um die Art und Häufigkeit der Schmerzen, schmerzbezogene Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Bewältigungsstrategien beurteilen zu können, verwenden wir folgende Fragebögen und Tagebücher:
- Deutsche Schmerzfragebogen (DSF-KJ) für Kinder von 4-10 Jahren, für Jugendliche ab 11 Jahren und für Eltern zur Erfassung von Schmerzen. Eltern und Patient/in sollten jeweils einen Fragebogen ausfüllen. Es gibt eine Version für den Erstkontakte und ein Verlaufsbogen für Wiedervorstellungen.
- Pediatric Pain Disability Index (P-PDI) zur Erfassung der schmerzbezogenen Beeinträchtigung im Alltag (Hübner et al. 2009).
- Pediatric Pain Coping Inventory Revised (PPCI-R) zur Erfassung von schmerzbezogenen Kognitionen und Bewältigungsstrategien (Hechler et al. 2008).
- Schmerzempfindungsskala für Jugendliche (SES-J) zur Erfassung von schmerzbezogenen Emotionen (Wager et al. 2010).
- Parental Catastrophizing Scale (PCS-P) zur Erfassung von Verhaltensweisen aus dem sozialen Umfeld (Hechler et al. 2010).
- Kopfschmerztagebuch zur Erfassung und Beurteilung von Kopfschmerzen.
Bei einer Schmerzstörung dominiert der Schmerz das Leben des Kindes und der Familie. Viele Eltern fühlen sich überfordert. Dabei können Eltern ihren Kindern helfen, wenn sie verstehen, wie chronische Schmerzen entstehen und durch welche Bedingungen sie verstärkt und reduziert werden können. Unabhängig von der Schmerzursache können chronische Schmerzen durch eine multimodale Schmerztherapie behandelt werden, bei der eine Kombination aus körperlicher Therapie (z. B. Physiotherapie), kognitiver Psychotherapie (z. B. Ablenkungsübungen) und Verhaltenstherapie (z. B. aktive Aufgaben) die Schmerzwahrnehmung reduziert, das Erleben für positive Empfindungen öffnet und das Vermeidungsverhalten reduziert. Liegt dem Schmerz eine organische Erkrankung zugrunde, dann ist zusätzlich die Therapie der Grunderkrankung notwendig. Bei funktionellen Schmerzen ohne strukturelle Organstörung führen Medikamente in der Regel nicht zu einer langfristigen Besserung.
Dr. Peter Müller-Abt
Leitender Oberarzt
Röntgen, Durchleuchtung, Orthopädie
Telefon: 0711 278-73307
E-Mail: p.mueller-abt@klinikum-stuttgart.de
Dr. Peter Müller-Abt
Leitender Oberarzt
Röntgen, Durchleuchtung, Orthopädie
Telefon: 0711 278-73307
Dr. Peter Müller-Abt
Leitender Oberarzt
Röntgen, Durchleuchtung, Orthopädie
Telefon: 0711 278-73307
Dr. Peter Müller-Abt
Leitender Oberarzt
Röntgen, Durchleuchtung, Orthopädie
Telefon: 0711 278-73307
Dr. Peter Müller-Abt
Leitender Oberarzt
Röntgen, Durchleuchtung, Orthopädie
Telefon: 0711 278-73307