Pädiatrische Psychosomatik
So wie körperliche Erkrankungen das seelische Befinden beeinflussen, können seelische Belastungen auf den Körper einwirken. Körperliche Funktionsstörungen ohne eine strukturelle organische Ursache treten bei ca. 10-20% der Schulkinder und Jugendlichen auf. Die Betroffenen entwickeln unwillkürliche Beschwerden wie Schwindel oder sie verlieren die Kontrolle über bestimmte Körperfunktionen mit Bewegungs- oder Wahrnehmungsstörungen.
Dazu gehören auch nicht-epileptische Anfälle. Die Symptome sind organischen Störungen sehr ähnlich, so dass die Betroffenen und ihre Angehörigen in Sorge sind, dass eine körperliche Ursache übersehen wurde. Oft treten die Krankheitssymptome spontan ohne ersichtlichen Grund auf. Manchmal findet sich ein Bezug zu seelischen Belastungen, wie z. B. eine Überforderung, eine erhöhte Anspannung oder Konflikte. Auch die Bewältigung einer chronischen Erkrankung stellt eine große Herausforderung für die Betroffenen dar, die dazu führen kann, dass neben den organischen Symptomen funktionelle Störungen mit ähnlicher Symptomatik auftreten. So haben manche Patienten mit einer Epilepsie auch funktionelle nicht-epileptische Anfälle. Es ist wichtig, die funktionellen und die epileptischen Anfälle zu unterscheiden, weil beide unterschiedlich behandelt werden müssen. Bei epileptischen Anfällen helfen Medikamente, bei nicht-epileptischen Anfällen nicht.
Begünstigend für die Entwicklung und Aufrechterhaltung psychosomatischer Symptome gelten unter anderem:
- Belastungen (Trennungs-, Verlustsituationen, Überforderungen, Konflikte, Mobbing, Stress)
- Emotionen wie Ängstlichkeit, Hilflosigkeit, Depressionen, Selbstwertprobleme
- negative Gedanken und Fehlbewertungen (z. B. „keiner kann mir helfen“)
- eine reduzierte Wahrnehmung für Anspannung und ungünstige Konfliktbewältigung
- eine gewisse "Dünnhäutigkeit" und hohe Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit
- eine vermehrte Aufmerksamkeit der Umgebung und Entlastungen im Alltag (Schule) durch die Symptome
Meist führen die Symptome zu schweren emotionalen Belastungen, Verhaltensauffälligkeiten und zahlreichen Einschränkungen im Alltag sowie zu Fehlzeiten in der Schule. Dies stellt viele Betroffene vor schwierige Herausforderungen, bei deren Bewältigung dringend Unterstützung notwendig ist. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung ist wichtig, um eine Chronifizierung ins Erwachsenenalter zu verhindern. Grundsätzlich gilt: Je frühzeitiger die Behandlung beginnt, desto besser sind die Chancen auf eine Heilung.
Wir behandeln Kinder und Jugendliche von 6-18 Jahren auf unserer Station für Pädiatrische Psychosomatik und Schmerztherapie (16 Betten) mit folgenden Erkrankungen:
- Dissoziative Bewegungs- und Empfindungsstörungen sowie Krampfanfälle
- Somatoforme („funktionelle“) Störungen des Magen-Darm-Traktes und Herz-Kreislauf-Systems
- Psychische Begleiterscheinungen bei körperlicher Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)
- Anpassungs- und emotionale Störungen bei belastenden Lebensereignissen und gravierenden Veränderungen der Lebenssituation
- Angststörungen (Panikstörung, Phobien, generalisierte Angsterkrankungen)
- Ein- und Durchschlafstörungen
- Ausscheidungsstörungen (Einnässen, Einkoten)
- Tic-Störungen
Wir behandeln nicht:
- Kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen
- Essstörungen wie Anorexia nervosa und Bulimie
- Frühkindliche Anpassungs- und Fütterstörungen
- Geistige Behinderung
- Sogenannte Persönlichkeitsstörungen
- Sucht
- Zwangserkrankungen
Wir nehmen die Symptome ebenso ernst wie bei organischen Erkrankungen. Die medizinische Diagnostik sollte vor der psychosomatischen Therapie abgeschlossen sein. Zur Diagnostik während des stationären Aufenthaltes gehört die Suchen nach Auslösefaktoren und aufrechterhaltenden Umständen sowie eine differenzierte Entwicklungs-, Leistungs-, und Verhaltensdiagnostik. Ein besonderes Anliegen ist uns auch die Diagnostik vorhandener Ressourcen, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können.
Wir behandeln Kinder und Jugendliche von 6-18 Jahren auf unserer Station für Pädiatrische Psychosomatik und Schmerztherapie (16 Betten), wenn eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder eines regelmäßigen Schulbesuchs droht bzw. eingetreten ist oder bei schweren Belastungsfaktoren bzw. zusätzlichen Erkrankungen. Unser multimodales Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche besteht aus sechs Therapiemodulen, die aufeinander aufbauen und inhaltlich sowie zeitlich auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt sind.
Die Module umfassen wöchentlich zwei Einzelpsychotherapien, eine Gruppenpsychotherapie, eine Familientherapie mit Arzt und Psychologe, ärztliche Einzelgespräche und Biofeedback sowie jeweils zwei Sitzungen Sport- und Musiktherapie sowie Physio- oder Ergotherapie. Ablenkungs- und Entspannungstechniken, Stufenpläne und Stabilisierungsübungen, Achtsamkeits- und soziales Kompetenztraining werden täglich mit dem Pflege- und Erziehungsteam geübt. Die Therapiedauer liegt bei 3-4 Wochen und beinhaltet 5-6 Therapieeinheiten a 45-60 Minuten pro Woche. Die Therapieplanung und Überprüfung des Behandlungsverlaufs erfolgt durch eine tägliche ärztliche Visite und zwei interdisziplinäre, multiprofessionelle Teambesprechungen pro Woche mit Kinder- und Jugendärzten, Kinderneurologen, Psychologen, Pädagogen, Physio- und Ergotherapeuten sowie dem Pflege- und Erziehungsteam.
In den Therapiemodulen wirken kognitive (z. B. Ablenkungstechniken), emotionale (z. B. Imaginationsübungen), künstlerische (Musiktherapie), körperorientierte (Physiotherapie, Entspannungstechniken) und verhaltenstherapeutische Therapieverfahren zusammen. Die Patienten und ihre Angehörigen lernen, welche biologischen (Anspannung, Stress), psychologischen (Angst, Hilflosigkeit) und sozialen Faktoren (Überforderung, Vermeidungsverhalten) die Symptome aufrechterhalten oder verschlimmern können. Die Patienten üben krankheitsverstärkende Gedanken und Gefühle sowie körperliche Stressreaktionen zu erkennen und abzubauen. Der Therapieerfolg wird bei der Übung durch eine Messung und Darstellung vegetativer Körperfunktionen (Atmung, Blutdruck und Muskelanspannung) auf einem Computerbildschirm sichtbar gemacht (Biofeedback). Das steigert die Motivation und zeigt, ob die Therapie wirksam ist. Mit einer Änderung des Krankheitsverhaltens lernen die Patienten ihre Kontrollfähigkeit zu steigern und ihren Alltag wieder selbstbestimmt zu gestalten. Dazu gehört auch ein regelmäßiger Schulbesuch in der Klinikschule drei bis vier Stunden täglich. Der Schulstoff wird von der Heimatschule vorgegeben und in kleinen Gruppen von drei bis vier Schülern mit den Lehrern bearbeitet. Das Therapiemilieu gewährleistet die Einhaltung eines regelmäßigen Tagesablaufes in einer wertschätzenden und ressourcenorientierten Atmosphäre als Voraussetzungen für Neuentwicklungen. Wichtig ist dabei das soziale Kompetenz- und Konfliktbewältigungstraining in einer Gruppe mit gleichaltrigen Jugendlichen und die Stärkung des Selbstwertgefühles und Vertrauens in den eigenen Körper.
Die Eltern werden eng in die Therapie eingebunden. Mit Belastungserprobungen prüfen wir, ob die gelernten Techniken auch zu Hause und in der Schule wirksam sind. Besonders wichtig ist dabei die anschließende Nachbesprechung und Therapieoptimierung falls erforderlich.
Während der Therapie wohnen die Kinder und Jugendlichen in Doppelzimmern, die mit Jugendmöbeln und einem eigenen Badezimmer ausgestattet sind. Die Patienten haben die Möglichkeit, ihren Wohnbereich nach eigenen Wünschen zu gestalten (eigene Bettwäsche, Tagesdecke, Poster, Kuscheltiere etc.). Es stehen verschiedene Gemeinschaftsräume (Aufenthaltsräume, Musikzimmer, Spiel- und Sportzimmer, Esszimmer mit Küche, etc.) und sportliche Betätigungsmöglichkeiten auf der Station zur Verfügung.
Eltern und Patienten, die Interesse an einer Behandlung haben, können sich
auf der Station (MCTE) informieren:
Telefon: 0711 278-73440, Montag bis Freitag von 8:00 - 11:00 Uhr
E-Mail: mcte@klinikum-stuttgart.de
oder in der Ambulanz einen Termin vereinbaren:
Telefon: 0711 278-72416,
Montag bis Donnerstag 8:00-11:00 und 14:00-16:00 Uhr
Freitag 8:00-11:00 Uhr
E-Mail: kinderneurologie@klinikum-stuttgart.de