Rezidivdiagnostik und -therapie
Der Verdacht auf das Vorliegen eines lokoregionären Tumorrezidivs bzw. einer Metastasierung ergibt sich in den entsprechenden Kontrolluntersuchungen meist anhand eines auffälligen klinischen / sonographischen Befundes oder bei Anstieg des Tumormarkers. Eine potenziell tumorbedingte Schmerzsymptomatik bzw. tumorbedingte Lokalsymptome können ebenfalls ein Tumorrezidiv signalisieren, sind jedoch eher selten zu beobachten.
Diagnostisch stehen dem Zentrum für Schilddrüsenkarzinome alle routinemäßigen Verfahren (Ultraschall, feingewebliche Untersuchungen an Biopsiematerial, sämtliche bildgebenden Verfahren wie Röntgen, moderne CT und MRT Geräte) sowie auch spezielle Untersuchungstechniken zur Verfügung. Häufig werden die FDG PET/CT zur kombinierten Darstellung von Zuckerstoffwechsel und Morphologie bei nicht mehr jodspeichernden Karzinomen oder andere neuartige PET/CT Verfahren zur Überprüfung bestimmter molekularer Tumoreigenschaften eingesetzt, die individuelle Patienten evtl. für molekular zielgerichtete Therapien qualifizieren.
Für eine Therapie von Tumorrezidiven oder Metastasen stehen in Abhängigkeit der Tumoreigenschaften (positive Jodspeicherung oder Verlust der Jodspeicherung/Lokalisation und Ausmaß der Tumormanifestationen/Wachstumsverhalten/Symptomatik) mehrere Optionen wie operatives Vorgehen, Hochdosis-Radiojodtherapie, perkutane Bestrahlung, molekular zielgerichtete Therapieansätze oder selten auch eine Chemotherapie zur Verfügung, die es gilt sorgfältig interdisziplinär im Sinne des Patientenwohls abzuwägen:
Beim Auftreten eines Lokalrezidivs der Tumorerkrankung oder diagnostizierter Fernmetastasen wird das onkologische Vorgehen in der interdisziplinären Tumorkonferenz besprochen und das Ergebnis dann mit dem Patienten diskutiert.
Die Möglichkeiten und der Nutzen eines erneuten chirurgischen Eingriffs werden bestimmt von der Art des Tumors und seiner Prognose und natürlich den Lagebeziehungen zu benachbarten Organ- und Gefäß/Nervenstrukturen. Ist eine Resektion onkologisch sinnvoll und kann eine erneute komplette Tumorresektion erreicht werden, bieten wir Rezidiveingriffe am Hals, Operationen im Mediastinum unter Eröffnung des Brustkorbes und Metastasenresektionen in anderen Organe wie z.B. Lunge, Leber, Pankreas.
Bei multilokulärer Metastasierung mit erhaltender Jodspeicherung der Metastasen und fehlender Möglichkeit, diese operativ zu entfernen (z.B. Entfernung von LK oder Lungenmetastasen), kann ggf. – in Abhängigkeit von Allgemeinbefinden und Laborwerten – eine hochdosierte Radiojodtherapie bzw. ein kombiniertes Vorgehen mit operativer Tumorreduktion und nachfolgender Radiojodtherapie angeboten werden. Das Vorgehen ist ähnlich dem einer ablativen Radiojodtherapie, es werden jedoch höhere Aktivitätsmengen angewandt. Die Hochdosistherapien sollten möglichst immer nach Hormonentzug (ca. 4 wöchige Pausierung der Einnahme von Schilddrüsenhormonen) erfolgen. Zuvor sollten potenziell jodnegative Metastasen ausgeschlossen werden.
Bei nicht jodspeichernden Lokalrezidiven und/oder Lymphknotenmetastasen ist eine perkutane Bestrahlung indiziert, wenn eine komplette operative Entfernung nicht möglich ist oder wenn mit mikroskopischen Tumorresten und der Gefahr eines erneuten Tumorwachstums gerechnet werden muss.
Die Bestrahlung von Fernmetastasen muss individuell entschieden werden. Eine regelmäßige Indikation besteht beim seltenen Befall des Zentralnervensystems. Ferner ist die Bestrahlung regelmäßig bei schmerzhaften und/oder stabilitätsgefährdenden Knochenmetastasen indiziert, wenn eine Operation nicht möglich oder noch nicht erforderlich ist, darüber hinaus auch nach einer stabilisierenden Operation, um den Erfolg der Operation zu sichern.
In Einzelfällen kann auch die Bestrahlung anderer Metastasen (z.B. Lunge oder Weichteile) indiziert sein, wenn diese zu lokalen Problemen führen.
Bei der Bestrahlung von Metastasen kommen häufig auch Konzepte mit höheren Einzeldosen und kürzeren Behandlungszeiten (2-4 Wochen) zum Einsatz. Wenn erforderlich, kann eine Schmerztherapie auf einer unserer Bettenstationen eingeleitet werden.
Die Behandlungsmöglichkeiten bei Patienten mit nicht-resektabler Erkrankung waren bisher begrenzt. Neben Symptom-orientierten Maßnahmen wurden Zytostatika verwandt, entweder einzeln oder in Kombination. Die meisten Therapieprotokolle beinhalteten Dacarbazin (DTIC) oder Doxorubicin, allein oder zusammen mit anderen Medikamenten wie Cyclophosphamid oder Vincristin. Als wirksam bei einzelnen Patienten haben sich auch Capecitabin, Cisplatin, Etoposid o.ä. erwiesen. Die Remissionsraten von Einzelsubstanzen oder Kombinationen der Chemotherapie liegen unter 20 Prozent. Für keines der Chemotherapie-Regime wurde eine Verlängerung der progressionsfreien oder der Gesamtüberlebenszeit nachgewiesen. Eine Chemotherapie wird in aktuellen Konsensus-Leitlinien amerikanischer und europäischer Fachgesellschaften nicht mehr in der Erstlinientherapie empfohlen.
Die aktuellen Fortschritte in der Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem MTC basieren auf der Entdeckung molekularer Ursachen der Krankheitsentstehung. Die drei, mit der gehäuften Entstehung von MTC assoziierten, familiären Tumor-Syndrome werden durch Keimbahnmutationen im RET Gen verursacht. RET ist ein Rezeptormolekül, funktionell eine Tyrosinkinase. RET Mutationen werden auch bei etwa der Hälfte der Patienten mit sporadisch auftretenden MTC nachgewiesen, davon bei 85 Prozent der Patienten als M918T Mutation.
Neben RET spielen andere Tyrosinkinasen eine wichtige Rolle in der Progression und der Metastasierung des medullären Schilddrüsenkarzinoms. Diese Erkenntnisse waren die Basis von Phase I - und Phase II – Studien zur Wirksamkeit unterschiedlicher Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI). Molekulare Ziele sind RET, VEGFR, BRAF, MET u. a.. Remissionen wurden u. a. beobachtet mit Axitinib, Capozantinib, Motesanib, Sorafenib, Sunitinib und Vandetanib. Die Ergebnisse waren Grundlage multizentrischer Phase III Studien, die z. T. abgeschlossen und in den Ergebnissen publiziert, z. T. noch offen sind.
Als erste Substanz wurde Vandetanib (Caprelsa®) in Europa zur Therapie des aggressiven und symptomatischen MTC zugelassen. Der Verlauf von Patienten mit fortgeschrittenem MTC ist interindividuell sehr unterschiedlich.
Das Krankheitsspektrum reicht von Patienten mit mehrjährig stabilem Verlauf bis zu rasch progredienter Metastasierung. Metastasen treten am häufigsten in den Lymphknoten, der Leber, den Lungen und den Knochen auf. Es wurde bisher nicht gezeigt, dass der frühzeitige Beginn einer systemischen Therapie – z. B. bei Anstieg von Calcitonin – die progressionsfreie oder die Gesamtüberlebenszeit verlängert. Auch unter Berücksichtigung der potenziellen Nebenwirkungen medikamentöser Tumortherapie wird der Beginn einer systemischen Behandlung auch in einer aktuellen europäischen Leitlinie nur empfohlen bei
- progredienter Erkrankung mit hoher Tumorlast und / oder
- ausgeprägter Symptomatik
Beim diffus metastasierten follikulären oder papillären Schilddrüsenkarzinom kann im Falle einer rasch progredienten oder symptomatischen Metastasierung bei fehlender Radionuklidspeicherung eine Monochemotherapie mit Doxorubicin verabreicht werden.
Der Effekt anderer Monotherapiesubstanzen ist deutlich geringer. Bei Patienten mit diffuser Metastasierung eines anaplastischen Schilddrüsenkarzinom kommt der Chemotherapie eine grössere Bedeutung zu. Hier hat sich die Kombination von Doxorubicin plus Cisplatin der Monotherapie mit Doxorubicin überlegen erwiesen.
Auch bei den metastasierten follikulären oder papillären Schilddrüsenkarzinomen finden sich vielversprechende Ergebnisse in Therapiestudien mit Thyrosinkinasehemmern wie z.B.Sorafenib (Nexavar ®) oder bei Patienten mit nachgewiesener BRAF-Mutation mit Vemurafenib. So konnte in einer Phase III Studie bei Patienten mit metastasiertem Radiojodtherapie-refraktären differenzierten Schilddrüsenkarzinom mittels Sorafenib versus Placebo das progressionsfreie Überleben um 5 Monate verlängert werden.
Allerdings ist die Substanz zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht für die Therapie des Schilddrüsenkarzinoms zugelassen und die Kostenübernahme muss zuvor über die Krankenkasse zuvor beantragt werden.