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Krebs und Genetik: Einblicke in den Fachbereich Humangenetik mit Dr. Hans-Jürgen Pander

Etwa 5 bis 10% aller Krebserkrankungen gehen letztlich auf eine erbliche Ursache zurück. Warum ist es wichtig, das herauszufinden? Wer sollte deshalb zum Humangenetiker gehen? Wie läuft eine genetische Beratung und Untersuchung bei Verdacht auf eine erbliche Krebserkrankung ab? Welche Konsequenzen haben entsprechende Untersuchungsbefunde? Diese und weitere Fragen beantwortet der Ärztliche Leiter des Instituts für Klinische Genetik Dr. Hans-Jürgen Pander im Kurzinterview.

Was passiert eigentlich in der "genetischen Sprechstunde"?
In der genetischen Sprechstunde werden zunächst alle relevanten medizinischen Informationen zu Ihrer Erkrankung sowie zu Ihrer Familienvorgeschichte (Stammbaumerstellung) zusammengetragen. Auf dieser Basis erfolgt dann eine Aussage zur Wahrscheinlichkeit, dass eine erbliche Erkrankung vorliegt. Sie erhalten ggf. ausführliche Informationen über die genetischen Untersuchungsmöglichkeiten in Ihrer Situation und über die sich aus den Befunden ggf. ergebenden Konsequenzen für Ihre Gesundheit (Erkrankungsrisiken, Präventions- und Früherkennungsmöglichkeiten). Auch die sich u.U. für Familienangehörige ergebenden Konsequenzen werden besprochen. Falls eine genetische Untersuchung sinnvoll erscheint und Sie mit einer solchen einverstanden sind, kann die hierfür notwendige Blutentnahme schon im Rahmen der ersten Vorstellung bei uns erfolgen; ggf. können Sie aber auch nach einer Bedenkfrist einen zweiten Termin vereinbaren. Die Diagnostik dauert in der Regel einige Wochen bis Monate. Nach Vorliegen der Ergebnisse bieten wir Ihnen ein weiteres Beratungsgespräch an, und Sie erhalten dann einen ausführlichen schriftlichen Bericht über die Ergebnisse und die sich daraus ergebenden Konsequenzen von uns.

Was haben Krebs und Gene miteinander zu tun? Wie häufig ist vererbbarer Krebs? 
Im Erwachsenenalter gehen mindestens etwa 5-10% aller Krebserkrankungen letztlich auf eine erbliche Ursache zurück, im Kindesalter wahrscheinlich 10-20%. Erbliche Ursache heißt, dass eine Erbgutveränderung (sog. Mutation) in einem der diesbezüglich relevanten Gene (von denen es weit über 100 verschiedene gibt) vorliegt, die mit einem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhten Risiko (jedoch praktisch nie 100%) für das Auftreten bestimmter Krebserkrankungen einhergeht. Dies betrifft nicht nur seltene und ungewöhnliche Krebserkrankungen, sondern auch die häufigen „gewöhnlichen“ Krebserkrankungen wie z.B. Brustkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs, Gebärmutterkörperkrebs, Eierstockkrebs und Blasenkrebs. Der Verdacht auf das Vorliegen einer erblichen Form einer Krebserkrankung besteht immer dann, wenn es mehrere Betroffene (insbesondere in aufeinanderfolgenden Generationen) in der Familie gibt, wobei es sich dann nicht unbedingt um die gleiche Krebserkrankung handeln muss, da auch manche Kombinationen wie z.B. Brust- und Eierstockkrebs oder Darm- und Gebärmutterkörperkrebs auf eine gemeinsame erbliche Ursache zurückgehen können. „Verdächtig“ ist auch ein ungewöhnlich frühes Erkrankungsalter (z.B. vor dem Alter von 50 Jahren bei Brust- und Darmkrebs), das beidseitige Auftreten bei paarigen Organen (z.B. Brustkrebs) und bestimmte Auffälligkeiten bei der Untersuchung des Tumors beim Pathologen. Patient:innen und ihre Angehörige sollten das Thema immer von ihrer Seite aus bei den behandelnden Ärzten ansprechen, damit über die natürlich wichtige akute Behandlung der Krebserkrankung nichts verpasst wird, was für die langfristige weitere Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen wichtig sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein erstgradig Verwandter (z.B. Geschwister, Kinder, Eltern) ebenfalls Träger einer beim Patienten evtl. vorliegenden genetischen Prädisposition für Krebs ist, beträgt i.d.R. 50%.

Für viele Krebspatient:innen bedeutet die Anpassung der Therapie an die im Tumor nachgewiesenen genetischen Veränderungen eine große Hoffnung. Bitte erklären Sie uns den Beitrag der Humangenetik in Bezug auf die personalisierte (Präzisions-) Therapie.
An dieser Stelle ist gegenwärtig eher der Molekularpathologe gefragt, der im Gegensatz zu uns Humangenetikern, die wir uns mit vererbbaren genetischen Veränderungen beschäftigen, die im Tumor neu aufgetretenen genetischen Veränderungen im Hinblick auf prognostische und therapeutische Aspekte untersucht. In manchen Fällen gibt es aber tatsächlich auch die Möglichkeit des Einsatzes einer gezielten medikamentösen Therapie bei Nachweis einer spezifischen erblichen Ursache der Tumorerkrankung. Viel häufiger werden wir Humangenetiker aber schon derzeit einbezogen, wenn es darum geht, die Dosierung einer notwendigen Chemotherapie der genetischen Konstitution des Patienten anzupassen, damit bei möglichst hoher Wirksamkeit möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten, da die Verstoffwechslung von Medikamenten auch erblichen Eigenschaften unterliegt.

Herr Dr. Pander – wo sehen Sie Humangenetik in der Krebstherapie in 10 Jahren?
Es ist unbestritten, dass die Diagnostik genetischer Veränderungen bei Tumorpatient:innen eine immer größere Rolle spielen wird, wobei das – wie oben dargestellt – meist nicht-erbliche genetische Veränderungen im Tumor selbst sind. Mein Anliegen an dieser Stelle ist es, dass in 10 Jahren alle Krebs-Patient:innen und deren Familien ggf. vom Angebot der humangenetischen Patient:innenversorgung profitieren können, indem damit die erblichen Fälle von Krebs „herausgefischt“ werden, um diesen Patient:innen und ihren Angehörigen eine entsprechend intensivierte ärztliche Betreuung anbieten zu können.

 

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